betonprisma 96: Wohnen
Integraler Wohnungsbau der Zukunft
Erfahrungen des Wirtschaftsbaus bieten Potentiale für den Wohnungsbau
Wie kein anderer Wirtschaftsbereich unterliegt der Wohnungsbau langen Traditionen. Über Generationen weitergegebene Handlungsmuster und Überzeugungen prägen die bis heute typischen Anwendungsbereiche der massiven Baustoffe: Beton für Fundamente, Decken, Liftschächte und Treppen – Mauerwerk für die Wände. Der Rückgriff auf die Tradition befreit uns jedoch nicht davon, diese vor dem Hintergrund fortschreitender Entwicklungen neu zu überprüfen.
Bis vor wenigen Jahren waren die leitenden Kriterien für die Wahl von Bauweise und Baustoff – neben gestalterischen Aspekten – die konstruktiven Eigenschaften und die Wirtschaftlichkeit. Heute bestimmen neue Herausforderungen die Bedingungen des Bauens und die Auswahl der Baustoffe. Die aus der Tradition heraus betrachteten technischen Eigenschaften eines Baustoffs reichen für die Beurteilung unter zukunftssicheren Aspekten nicht mehr aus. Denn neben dem Nachweis einer nachhaltigen und ökologisch vertretbaren Herstellung und Anwendung müssen moderne Baustoffe den Bau energieeffizienter Gebäude unterstützen und gleichzeitig wirtschaftliche wie auch intelligente Lösungen ermöglichen.
Systeme des Wirtschaftshochbaus für den Wohnungsbau nutzen
Wohngebäude sollen dauerhaft sein – müssen aber gleichzeitig den langfristigen Entwicklungen insbesondere der Energiemärkte entsprechen. Der Gebäudebestand nimmt heute noch einen großen Anteil des nationalen Energiebedarfs in Anspruch. Hier stehen wir vor einem Umbruch, denn der Wandel zu mehr technisch-substantieller Nachhaltigkeit in Bau und Betrieb von Wohngebäuden ist, vor allem bedingt durch die Entwicklungen anderer Sparten des Hochbaus, weit vorangekommen. Vor allem im Wirtschaftshochbau gibt es heute bereits eine ganze Reihe von Realisierungen, in denen Betonbauteile in Kombination mit Wärmepumpen und unterschiedlichen anderen Anlagesystemen zur energetischen Bewirtschaftung genutzt werden. Dabei werden Betonbauteile mit geothermischer Funktion oder solche mit thermischer Aktivierung besonders häufig eingesetzt. Die im Wirtschaftshochbau angewendeten Verfahren und Systeme können prinzip gleich in den Wohnungsbau übernommen werden. Durch weitere Kombination von solaraktivierten Bauteilen an der Gebäudehülle mit saisonalen Wärmespeichern, etwa im Gebäudefundament, können zusätzlich Elektrizität und Wärme gewonnen und gespeichert werden. Bei all diesen Anwendungen gibt es hinsichtlich der bauphysikalischen Stoffeigenschaften und der intensiven energetischen Verbindung zwischen Beton und den Austauschmedien in den integrierten Leitungen keine vergleichbar systemfähigen Massivbaustoffe. Zwar ist es heute im Wohnungsbau noch immer nicht üblich, raumkühlende Funktionen der thermischen Aktivierung vorzusehen. Von den Nutzern würde ein solcher Beitrag zur Behaglichkeit sicherlich aber rasch und gern angenommen werden, da sie nahezu kostenneutral und serienmäßig mitgeliefert werden können.
Beton ermöglicht integrierte Bauweisen
Für eine ganzheitliche energetische Planung eines Gebäudes ist es sinnvoll, zunächst eine Beurteilung der energetischen Leistungsfähigkeit jener Materialien und Stoffe vorzunehmen, die aus konstruktiven Gründen ohnehin einzusetzen sind. Dies sind zunächst die konstruktiven Massivbaustoffe zur Herstellung von Fundamenten, Tragwerk und Gebäudehülle. Beton hat im erhärteten Zustand ein hohes Wärmespeichervermögen bei einer in Relation zu Mauerwerk und Holz gut nutzbaren Wärmeleitfähigkeit – er eignet sich also gut als Speicher-, Puffer- und Transportmedium für Wärme. Die flüssig-plastische Verarbeitung bietet die in dieser Art einzige Möglichkeit, technische Anlagen – wie z.B. Leitungen für Austauschmedien – sicher, robust und wartungsfrei direkt im Bauteil zu platzieren. Durch die vollflächige Umhüllung der Einbauteile mit dem zunächst flüssigen und dann festen Beton entsteht ein inniger „thermischer Kraftschluss“ zwischen dem Austauschmedium und der umgebenden Bauteilsubstanz. Auf diese Weise ist ein verlustfreier Energieübergang mit maximalen Austauschraten möglich. Dieses Arbeitsprinzip legt gleich mehrere Arten der Anwendung zum Heizen und Kühlen des Gebäudeinneren und zur Energiegewinnung an der Gebäudehülle nahe, von denen die bereits recht häufig eingesetzte Betonkernaktivierung nur eine mögliche Form der Nutzung ist. Auf diese Weise lassen sich z.B. auch solare Wärmeeinträge in außenliegende Bauteilflächen – entweder aus direkter Einstrahlung oder als Abwärme einer Photovoltaikanlage – zur Energiegewinnung mittels Massivabsorber nutzen. Die energetische Aktivierung von Betonbauteilen schränkt die statische Tragfähigkeit und gestalterische Verwendung nicht ein, da die integrierten Anlagenteile klein sind und keine statisch relevanten Querschnittseffekte verursachen. In den meisten Fällen ist zur gleichzeitigen energetischen Nutzung tragender Betonbauteile keine Neudimensionierung erforderlich, allerdings kann eine Anpassung der Bauteildimensionen zur Optimierung der energetischen Leistungsfähigkeit im Einzelfall von Vorteil sein. Bauteilgruppen wie Geothermiepfähle, geothermische Flächengründungen, saisonale Wärmespeicher in Gründungsbauteilen, Betonkernaktivierung in Geschossdecken und Wandbauteilen, solaraktive Massivdachoder Außenwandkonstruktionen und schließlich Massivabsorber sind Beispiele für die gleichzeitige energetische und tragwerksaktive Nutzung von Betonkonstruktionen.
Potentiale der Fertigteilbauweise für den Wohnungsbau
Die Fertigteilbauweise besitzt hinsichtlich der energetischen Nutzung von Betonbauteilen besondere Potentiale. Zeitgemäße Fertigteilproduktionen arbeiten weitgehend EDV-gesteuert. Die Vorbereitung der Schalung, die Ermittlung, Vorbereitung und der Einbau der Bewehrung sowie aller Einbauteile erfolgt zum Großteil über Automaten. Die Abläufe sind standardisiert, so dass die einmalige Fertigung von individuellen Bauteiltypen einen etwa gleichen baubetrieblichen Aufwand in Anspruch nimmt wie die Herstellung von größeren Stückzahlen. Qualifizierte Fertigteilhersteller leisten Architekten und Tragwerkplanern technische Unterstützung bei der konstruktiven Gebäudeplanung, insbesondere bezüglich spezifischerer logistischer und baubetrieblicher Belange. Dabei wird hinsichtlich einer energetischen Aktivierung von Betonfertigteilen der energetische Gebäudeplaner üblicherweise in die Arbeitsvorbereitung einbezogen. Hierzu ist es günstig, wenn der federführende Architekt den Tragwerksplaner, den Energieplaner und das technische Büro des Fertigteilherstellers möglichst frühzeitig an der Planung beteiligt. Die Nutzung von lokalen Energieangeboten aus Sonnenenergie, Erd- und Grundwasserwärme und eine möglichst verlustarme gebäudeinterne Kreislaufwirtschaft können die heute noch benötigten Energiemengen auf eine vergleichsweise geringe Restmenge elektrischen Stroms reduzieren. Diese Veränderungen der Rahmenbedingungen zum Bau und Betrieb von Gebäuden betreffen zuvorderst die Planung, die heute nicht mehr allein von Architekt und Tragwerksplaner geleistet wird, denn die Verordnungslage gibt der energetischen Gebäudeplanung zunehmend Priorität vor Architektur und Konstruktion. Die energetischen Planungsbelange sind seitens der Architektur zu beachten und zu integrieren. Zu diesen gehören u.a. die Ausrichtung des Gebäudes nach der solaren Einstrahlung, die Anordnung einer qualifizierten Wärmedämmung, die Aufteilung der Fassade in transluzente und opake Flächenanteile, die Anordnung von Bauteilen zur Verschattung, die Nutzung von Dächern und Fassaden für den Betrieb von Solaranlagen sowie die Integration haustechnischer Anlagen in das Tragwerk. Den Planern eröffnet diese Situation neue Tätigkeitsgebiete und Marktfelder: Vor allem im Wirtschaftshochbau werden die ökonomischen Vorteile einer effizienten energetischen Gebäudeplanung mit Nutzung alternativer Energien bereits bei überschlägiger Kosten-/ Nutzenbetrachtungen deutlich und sind auch auf den Wohnungsbau übertragbar. Als Konsequenz dieser Entwicklung sind langjährige Planungstraditionen neu zu betrachten und sinnvoll zu verändern und anzupassen. Die alleinige Aufwertung der Wärmedämmung ist lediglich eine Standardmaßnahme ohne innovativen Anspruch. Zur nachhaltigen energetischen Bewirtschaftung von Gebäuden sind allein in den zurückliegenden zehn Jahren mehr Techniken und Lösungen entstanden, als die Gebäudeplanung in dieser kurzen Zeit aufnehmen und zur Serienreife bringen konnte. Intelligentere Lösungen zur Energiewirtschaft in Gebäuden sind heute nicht nur gefordert, sondern auch kostengünstig möglich. Diese Potentiale sind für den Wohnungsbau zu nutzen.