betonprisma 101: Anfangen

Von skizzierten Träumen zur Realität

Anfangen heißt: Kompromisse finden

Am Anfang des Entwerfens steht gewöhnlich die schnelle Skizze. Ein inneres Bild, das dabei aufblitzt, drängt nach außen und wird Realität. Dieses hat vorher nicht existiert und ist noch keine gebaute Wirklichkeit, aber eine Idee des späteren Bauwerks. Doch nicht jeder solcher Anfang findet eine Fortsetzung, nicht jeder Entwurf seine Verwirklichung.
von Ingeborg Flagge

„Kreativität ist Intelligenz, die Spaß macht“, so Albert Einstein. Gute Architekten sind in hohem Maße kreativ und Feuer und Flamme für ihr Tun. Wie bei Künstlern lebt bei vielen ihre Tätigkeit noch vom altmodischen Zusammenspiel von Hirn und Hand, auch wenn der Computer dies zunehmend verändert. Mit der Architekturzeichnung beginnt trotz immer häufigerer Computerprojekte der lange Weg zur Realisierung eines Baus.

Es gibt faszinierende Zeichnungen mit ganz unterschiedlichen Schicksalen, z.B. Mies van der Rohes Entwurf eines transparenten Hochhauses an der Friedrichstraße in Berlin. Bis vor Kurzem noch wurde über die Verwirklichung dieses ungebauten Meisterwerkes spekuliert. Oder Jørn Utzons grobe Skizze 1957 für den Wettbewerb Opernhaus Sydney. Eigentlich hätte er mit seinem Beitrag, der nur ein einziges Blatt umfasste, ausgeschlossen werden müssen. Doch der Preisrichter Eero Saarinen erkannte die Magie dieses Einfalls und überzeugte die Jury, die Utzon den ersten Preis verlieh. Nicht zuletzt bedurfte es noch des genialen Ingenieurs Ove Arup, der hinter der als unbaubar eingeschätzten Vision des Architekten die Betonschalen sehen konnte, mit denen er das Bild der gezeichneten Segel realisieren würde.

Mit der Realisierung verliert der Entwurf seine Unschuld

Obwohl die Verwirklichung eines Entwurfes das Ziel aller Architektur sein sollte, existieren in der Architektenwelt mehr Skizzen und Zeichnungen als fertiggestellte Häuser. Mit jedem neuen Wettbewerb fällt eine Fülle von Ideen an, deren Anfang schon ihr Ende ist. Auch gibt es viele Gründe, dass selbst sorgfältig geplante Bauten nicht realisiert werden. Dem Bauherrn geht das Geld aus, ein Konkurrent hat die besseren Karten, die städtebaulichen Vorgaben ändern sich, eine Immobilienkrise legt alle Planungen lahm.

Wenn er nicht von der Fertigstellung von Bauten leben müsste, könnte es dem Architekten egal sein, ob ein Entwurf auf dem Papier bleibt oder realisiert wird. Beides ist Ergebnis seiner Phantasie und Begabung, seiner Sensibilität und seines Fleißes. Beides trägt seine Handschrift.

Aber natürlich will ein Architekt bauen, ein realisiertes Ergebnis publizieren, nachweisen, dass er sein Metier von Anfang bis Ende beherrscht. Junge Architekten benötigen wegen noch fehlender Erfahrung manchmal Geburtshelfer. So war Zaha Hadid 1993 bei der Einweihung ihres Erstlingswerkes, dem Feuerwehrhaus auf dem Vitra Campus, auf Grund ihrer phänomenalen Zeichnungen zwar eine weltbekannte Dekonstruktivistin. Aber ohne den Architekten Günter Pfeifer und sein praktisches Know-how hätte der Bau nur mit einschneidenden Einschränkungen realisiert werden können. Die Bauindustrie, die heute die schwierigsten Entwürfe der Architektin ohne Abstriche umzusetzen vermag, war damals noch nicht so weit.

Der neoklassizistische Architekt Leon Krier, der die Verhässlichung der Welt durch industrialisiertes Bauen anklagt und eine handwerklich orientierte Architektur vorzieht, sucht meist erst gar keine Verwirklichung seiner gestalterischen Vorstellungen. Realisieren ist für ihn fast immer mit Entwürdigung und Banalisierung seiner Ideen verbunden, ist Verfälschung des Entwurfs; deshalb verzichtet er darauf. Es sei denn, jemand wie Prince Charles lässt ihn Poundbury, ein Dorf in Dorset, verwirklichen, das ausschaut, als sei es vor 150 Jahren gebaut worden.

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Realisierung eines Baus Kompromisse erfordert. Die Sachzwänge von Bauvorschriften, zeitliche Notwendigkeiten, ein begrenztes Budget –Gegebenheiten, durch die die überzeugendsten Elemente eines Entwurfes verloren gehen können. Die Sorge des Architekten vor der Ausführung eines Entwurfes, davor, dass der ursprüngliche Entwurf seine Unschuld verliert, ist also berechtigt.

Nicht umsonst nannte Walter Gropius architektonisches Gestalten „in Fesseln tanzen“: Der Architekt soll sich nicht an seinen Träumen, sondern an realen Gegebenheiten orientieren. Er sprach vom „Schwarzbrot“ des Berufes. Ein guter Architekt muss Abstriche bei der Realisierung akzeptieren und Nachteile dennoch mit Leidenschaft, Sorgfalt und leichter Hand zu Baukunst fügen können.

Professorin Dr. Ingeborg Flagge war Geschäftsführerin des BDA und Direktorin des Deutschen Architekturmuseums. Sie ist Architekturkritikerin und -publizistin und lebt in Bonn.

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