betonprisma 87: Glaube
Die Moscheen von Sinan
Die architektonischen Prinzipien des Baumeisters Sinan
Bis zu 200 Moscheen sollen in den nächsten Jahren in Deutschland gebaut werden, die meisten als Ersatz bestehender so genannter „Hinterhofmoscheen“. Viele davon befinden sich heute in Planung, so Paul Böhms Schalenbau aus Beton in Köln.
Augusto Romano Burelli und Paola Gennaro haben den berühmten Moscheen des großen Baumeisters Sinan eine intensive Studie gewidmet – mit dem Ziel, die verborgenen architektonischen Prinzipien zu ergründen. Der folgende Text ist dem soeben erschienenen Begleitbuch zur Ausstellung „Die Moschee von Sinan“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt entnommen.
Das Leben eines Architekten ist kurz und reicht in seiner zeitlichen Begrenzung nur für die Erfindung und Ausarbeitung einer einzigen Idee, die seine gesamte Zeit und seine geistigen Energien verzehrt. Ihr in seinen Arbeiten Ausdruck zu verleihen, ist das Anliegen des Architekten.
Architektonischer Typ in 100 Ausführungen
Die Größe Sinans zeigt sich in der Meisterhaftigkeit, mit der er es verstanden hat, das Kuppelgewölbe kompositorisch und konstruktiv an die darunterliegenden geometrischen Körper anzubinden. Während in der italienischen Renaissance Kuppeln als gesonderte Gebilde auf das Gebäude unter ihnen aufsetzt wurden, hat Sinan es verstanden, beides zu einer Einheit zu verschmelzen. Diese Kunstgriffe verstärken die Wahrnehmung eines aufsteigenden Raumes. Die Mittel zur Entschleunigung und Bremsung der Schwerkraft stammen aus dem Repertoire der Architektur des Osmanischen Reiches.
Unveränderlichkeit des Grundrisses, Dynamik der Bogenelemente und Starrheit der Kuppel sind konzeptionell die bezeichnenden Merkmale des architektonischen Typs der osmanischen Moschee. Im Werke Sinans kondensiert sich das Wesentliche dieses Typs.
Die Vielseitigkeit von Sinans reichem Schaffen ist ohne den von ihm geduldig entwickelten und systematisierten „Entwurfsmechanismus“ unvorstellbar. Es ist davon auszugehen, dass die Erarbeitung dieses Mechanismus langsam vonstatten ging und dass sie durch den hohen Anspruch seiner Arbeit begünstigt wurde, aber auch durch die mystische Gewissheit, die mit dieser Aufgabe verbunden war: Gott ist die Einheit, folglich ist seine Welt in perfektem Gleichgewicht. Mensch und Gott sind unmittelbar miteinander verbunden, und so hatte auch der heilige Raum frei von Trennungen zu sein, denn alles sollte eingehen in die Einheit, in das Absolute. Der Raum sollte vollständig offen und klar sein, ohne jedes Mysterium und frei von jeder Unbestimmtheit.
Die Rationalität seiner konstruktiven Begabung, gestützt durch eine Entwurfskunst von euklidischer Strenge, erlaubte es ihm, Moscheen, Türben, Karawansereien oder Brücken immer wieder neu zu gestalten, ohne sich jemals zu wiederholen.
Darin besteht die Faszination und die Aktualität seiner Entwurfslehre.
Die symbolische Satzung der Moschee
Im Islam ist die Distanz zwischen Mensch und Gott unveränderbar, es gibt keine Mittler und auch die Architektur, in ihrem absoluten Raum, greift nicht auf vermittelnde Elemente zurück. Diese Distanz hat jedoch nichts Beunruhigendes an sich. Die Moschee als Ort der Besinnung will diesen Abstand auflockern, den Eindruck eines paradiesischen Raumes übermitteln und so schon nahezu erfahrbar machen. Nichts suggeriert das Erleben von Stille und Ruhe in der Kontemplation mehr als eine Moschee. Ohne uns auf Interpretationen der islamischen Theologie einlassen zu wollen, lässt sich die Raumkonzeption der Moschee anhand der symbolischen Elemente erklären, die sich in ihren konstitutiven Invarianten erstrecken.
Die Moschee wird längs von einer Symmetrieachse durchquert, die sich vom Tor zum Innenhof bis hin zur gegenüberliegenden Wand erstreckt. Diese Achse zeigt allein die geistige Ausrichtung der Gläubigen an, sie zeigt in Richtung Mekka – wobei hier sonst kein Punkt eine bestimmte Rolle spielt.
Es ist eine reine Symmetrieachse, die dem Entwurf dient. In der Moschee geht man nicht umher, es gibt keine Prozessionen, man begibt sich nicht zu einer bestimmten Stelle, um danach wieder an seinen Platz zurückzukehren; vielmehr bleibt jeder an seinem Platz, kniend, in dieselbe Richtung gewendet wie alle anderen Gläubigen. Keiner von ihnen ist dem Ritual näher oder ferner, weil dieses keinen physischen Brennpunkt im Raum hat. Der Saal ist somit reiner Ort der Versammlung und der geistigen Besinnung, in dem sich alle im Gebet auf einen Punkt hin orientieren, der sich außerhalb der Moschee, in unbestimmbar weiter Entfernung, befindet: Mekka. Der konzeptionelle Effekt dieser Leere ohne einen Mittelpunkt ist der, dass sich tatsächlich das gesamte Volk Gottes im Gebet nach einem entfernten Ort, gen Mekka eben, wendet; die Konvergenz ist geistig, das Zentrum unsichtbar: Es ist ein metaphysisches Zentrum. Das Fehlen eines physischen Zentrums, eines Anziehungspunkts, wie es der christliche Altar ist, ist ein wesentlicher Faktor für das Verständnis des Raumgefüges einer Moschee.
Die Kuppel – eine bindende Deckung
Die osmanische Kuppel ist ein intransitives Symbol des Entwurfs. Sie ist Bedeutungsträger, ohne jedoch eine eindeutige Bedeutung zu haben, sie ist ein bildhaftes Absolutum und schlicht und einfach der Entwurf der Einheit. Sie hat einen durch nichts hervorgehobenen Zenith, dessen Projektion auf dem Boden keinerlei Spur hinterlässt. Ihre Berührungsfläche mit den darunterliegenden Körpern ist lichtumflutet, so dass sie in ihrer Immaterialität zu schweben scheint.
Die Kuppel vermittelt uns die Vorstellung einer kosmischen Ordnung, dauerhaft wie das Himmelsgewölbe. Sie ist das metaphysische Zentrum des Raumes, der durch sie beschrieben wird. Ihre Anwesenheit begünstigt in keiner Weise eine radiale Interpretation des Entwurfs, die sie zum räumlichen Zentrum des Projekts werden lassen würde. Vielmehr wird die Komposition der Volumen von den Figuren bestimmt, die den Übergang zwischen der Kuppel und den darunterliegenden Körpern beschreiben. Das meisterhafte Können Sinans besteht in der Geschicklichkeit, mit der er die Kuppel mit den Bauteilen, auf denen sie aufliegt, verschweißt: anders als im italienischen Rinascimento ist sie nicht bloß aufgelegt, sondern mit dem Rest verschmolzen. Diese Verschmelzung erfolgt in einem Zwischenbereich, der durch die Strebebögen, die Pendentifs und die Nischen belebt wird, die den Übergang von der Ruhe des Gebetssaals zum kristallinen Gleichgewicht der Kuppel markieren.
In eben dieser Zwischenregion, die wir auch als „Baldachin“ bezeichnen könnten, offenbaren sich die Erfindungen Sinans: eine fast unmerkliche Durchdringung von Kuppel und geometrischem Körper darunter, die Auflockerung der Pendentifs, die gebremste Schwerkraft der Bögen, die Dematerialisierung der Nischen – all dies sind Maßnahmen, die den Eindruck eines aufsteigenden Raumes vermitteln, der sich vom Boden des Saales bis hin zum Zenith der geschlossenen Kuppel erstreckt.
Die Unbeweglichkeit des Gebetssaals, die Bewegtheit der Bögen und Gewölbe sowie die Starre der Kuppel sind die Elemente, die den Effekt des „aufgehobenen Raumes“ erklären, der für den Meister aus Istanbul so bezeichnend ist. Dank des Lichtkranzes unterhalb der Kuppel und des Auftriebs der Bögen, Pendentifs und Nischen im Zwischenbereich ist der Raum im Gleichgewicht und scheint zu schweben.
Begreifbarkeit des Paradieses
Der absolute Raum der Sinan-Moschee ist einerseits metaphysisch und andererseits zutiefst menschlich; er erscheint uns nicht wie ein kosmischer Alptraum, er hat nichts Erdrückendes. Auch das Gigantische an ihm wirkt nie einschüchternd. Dafür sorgen mehrere Kunstgriffe: die Dekoration, die Farben, vor allem aber die geniale Lösung des Lichteinfalls. In Höhe der betenden Gläubigen öffnet sich die Moschee in einer Abfolge von aus dem Boden aufsteigenden Fenstern. Da sie von einem ummauerten Garten umschlossen ist, fällt der Blick des im Inneren Betenden auf Bäume, Büsche und Blumen. Das Gefühl absoluter Abstraktion wird so gemildert; das Licht und in der schönen Jahreszeit ein warmer Lufthauch verbreiten eine Atmosphäre häuslicher Ruhe. Das im Koran verheißene Paradies – Gärten, Gewässer, Umfriedungen – wird somit begreifbar.
Augusto Romano Burelli