betonprisma 88: Energie

Dynamische Hülle - aktiver Kern

Das E.ON Energy Research Center der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule

In Aachen leisten derzeit Ingenieure, Architekten, und Energieforscher Pionierarbeit: Hier entsteht ein Gebäude, das wie kaum ein anderes in Deutschland für die Verbindung von technologischem Fortschritt und Nachhaltigkeit stehen soll.

Schon die äußere Form eines ebenso sanft wie kraftvoll aus der Landschaft herauswachsenden Keiles signalisiert zukunftsorientierten Optimismus und Dynamik. Eine Fassade aus komplex gekrümmten, hinterlüfteten Aluminiumele - menten, die „homogene, fließende Übergänge“ zwischen Dach und Wänden schaffen soll, wird das Ganze raumschiffartig umhüllen. Die Architektin Zaha Hadid entwickelte dieses architektonische Symbol. Doch der Bau will mehr sein als nur ein schickes Zeichen: In ihm sollen sich das Konzept eines interdisziplinären, innovationsorientierten Energieforschungsinstituts,  avancierte gebäudetechnische Konzepte und spektakuläre Architektur zu einer Einheit verbinden. Das E.ON Energy Research Center (ERC) der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) – der erste Spatenstich erfolgte im April vergangenen Jahres – soll den Nachweis erbringen, dass ästhetische Extravaganz und ökologische Rationalität keinen Widerspruch darstellen müssen. Es bildet damit einen Testfall für einen derzeit weltweit aktuellen architektonischen Trend: War das ökologisch bewusste, ressourcenschonende Bauen noch vor wenigen Jahren eine belächelte Nische für Wollsockenträger, sind es heute Architekten wie Norman Foster, Renzo Piano,  Thom Mayne oder eben Zaha Hadid, die „Null-Energie-Wolkenkratzer“ oder gleich ganze „CO2-freie Städte“ rund um den Globus entwerfen. Dagegen mutet das ERC fast bescheiden an. Ein Bruttorauminhalt von 35.130 m3 soll mit einem Budget von 20,5 Millionen Euro realisiert werden. Auf einer Nutzfläche von knapp 3.500 qm werden sich Arbeitsräume und Labors befinden, die durch 437 qm technische Funktionsflächen ergänzt werden. Das Erschließungskonzept nimmt 1.743 qm in Anspruch und beruht auf einem als Kommunikationsfläche angelegten Korridor, der sich um den eineinhalbgeschossigen Laborbereich legt und von zwei Stockwerken mit Büros und Seminarräumen umschlossen wird.

Keine futuristischen Phantasien, sondern ein Experiment

„Beim Energiekonzept ging es nicht darum, futuristische phantasien zu entwickeln“, betont Diplomingenieur Alexander Hoh, Ingenieur an der RWTH, „sondern einen Modellfall zu schaffen, der so auch auf andere Gebäude dieser Größenordnung angewendet werden kann.“ Dass dabei trotzdem über das heute Übliche hinausgegangen wurde,  ersteht sich von selbst, schließlich soll an den fünf Lehrstühlen, die im ERC einziehen werden – drei davon als Stiftungsprofessuren vom Energiekonzern E.ON finanziert –, die Zukunft der  Energieversorgung erforscht und geplant werden. Einer der Fachbereiche heißt „Energy Efficient  Buildings and Indoor Climate“, wird von Prof. Dr.-Ing. Dirk Müller geleitet und ist der Arbeitsplatz von Alexander Hoh. Als zukünftige Nutzer des ERC waren und sind die Ingenieure maßgeblich an der  lanung und Umsetzung des Energiekonzepts für das Gebäude beteiligt. Den am unmittelbarsten ins Auge stechenden Teil dieses Konzeptes plante allerdings bereits das Büro Hadid, und er prägt die aerodynamische Form des Gebäudes. Auf dem Dach des ERC sind insgesamt fünf Finnen parallel angeordnet, so dass sich vier gerichtete Luftkanäle bilden. Die Finnen sollen einerseits ähnlich einem klassischen Sheddach das Sonnenlicht gefiltert in das Gebäudeinnere lenken, andererseits die Luftströme über das Dach in Turbinen leiten, die der Stromproduktion dienen. „Das ist ein echtes Experiment“, betont Hoh, „und man wird abwarten müssen, wie gut das wirklich in der Praxis  unktioniert.“ Die Idee der Finnen und Turbinen wurde während des Architekturwettbewerbs vom Büro Hadid gemeinsam mit dem Klimaengineering- Unternehmen Transsolar aus Stuttgart entwickelt, das sich auf innovative, energieeffiziente Gebäudetechnik nach dem Leitbild „High comfort – low impact“ spezialisiert hat. Die anspruchsvolle Nutzung der Windenergie wurde in Simulationen am Computer durchgespielt und ging unmittelbar in den Formfindungsprozess für das Gebäude ein.

Innovative  Kombination von vertrauten Technologien

Nach dem Wettbewerbsgewinn war die Arbeit der Stuttgarter jedoch beendet und die Detailplanung übernahmen die Forscher der RWTH zusammen mit dem Architekturbüro Mayer Bährle in Lörrach, das schon zahlreiche Projekte von Zaha Hadid in Deutschland ausführte. Es klingt dann auch erst einmal weit weniger spektakulär, was die Aachener Wissenschaftler im ERC umsetzen: Ein gasbetriebenes Blockheizkraftwerk, Photovoltaik, die Nutzung oberflächennaher Geothermie – das sind Technologien, die zwar noch kein allgemeiner Standard, aber doch alle bereits bekannt und gut erprobt sind. „Es geht auch gar nicht vorrangig um die Erfindung ganz neuer Technologien“, erklärt Alexander Hoh, „sondern vor allem um die innovative und passgenaue Kombination des bereits Vertrauten.“ Ganz deutlich sieht der Ingenieur den Trend für die Energieversorgung von Gebäuden in einem geschickten Mix  unterschiedlicher Einzelmaßnahmen. „Das ist ja heute auch schon üblich: Die Gasheizung im Keller und die Solarzellen auf dem Dach. Nur, dass wir hier eben ein konsequent aufeinander abgestimmtes Konzept aus allen Elementen planen.“ Eine wirklich neue technologische Komponente könnte allerdings auch noch dazu kommen: Derzeit ist noch nicht klar, ob die Finnen mit transluzenten Dünnschicht-Solarzellen ausgestattet werden, die eine optimale Belichtung der darunter liegenden Räume bei gleichzeitiger Stromerzeugung ermöglichen. Und auch in der Lüftungstechnik erproben die Ingenieure des ERC neue Ansätze. Wie diese ganze Technik in dem Gebäude untergebracht werden kann, ohne die Optik des Hadidschen Entwurfs zu beeinträchtigen, das liegt vor allem in den Händen von Mayer  Bährle Architekten, die mit der Ausführungsplanung beauftragt sind. „Die Qualität des Betons ist ganz entscheidend für die Ästhetik des Gebäudes“, betont Roland Mayer. „Wir haben zunächst  Oberflächenstruktur, Farbe und die Beschaffenheit der Schaltafeln festgelegt.“ Der dynamisch geformte Massivkörper wird in Ortbeton ausgeführt. Die Präsenz von Sichtbetonflächen in Treppenaufgängen und Fluren erfordert allerhöchste Sorgfalt bei der Ausführung.

Betonkernaktivierung für den optimalen Einsatz geothermischer Wärme

Doch im ERC ist der Beton nicht nur für Optik und Haptik von zentraler Bedeutung. „Bodennahe Geothermie liefert grundsätzlich keine hohen Temperaturen“, erklärt Alexander Hoh. „Wir brauchen also große Flächen mit hohen Speicherkapazitäten, über die das Gebäude gleichmäßig temperiert werden kann.“ Heizkörper seien da nicht wirklich vorstellbar, zumal sie den Entwurf optisch beeinträchtigen würden. Große Betonflächen bieten jedoch optimale Voraussetzungen für alternative Lösungen.  Betonkernaktivierung“ ist hier das Stichwort. Dazu werden in den Betondecken Kunststoffrohre  ingegossen, durch die im Winter warmes und im Sommer kühlendes Wasser geleitet wird. Der Beton gibt die Temperatur gleichmäßig an die Räume ab und sorgt so ständig für ein angenehmes,  sgeglichenes Raumklima, Zugluft wird vermieden. In Aachen fließt auch geothermisch gewonnene Wärme durch die Rohre. Dass trotz des ausgefeilten Energiekonzeptes das ERC im Betrieb nicht – wie in manchen Veröffentlichungen behauptet – mehr Energie produziere als es verbrauche, sei darauf zurück zu führen, so Alexander Hoh, dass in den Laboren des Forschungszentrums äußerst  nergieintensive Experimente durchgeführt werden sollen. Das Missverständnis entsteht wohl dadurch, dass ein Blockheizkraftwerk nur dann effizient ist, wenn es stets auf voller Kapazität läuft. Überschüssige Energie, die im Gebäude nicht benötigt wird – zum  Beispiel im Sommer, wenn weniger Heizleistung gebraucht wird, kann dann in das Stromnetz eingespeist werden. Was aber nicht heißt, dass im Jahresmittel  das Gebäude tatsächlich zum Energielieferanten wird.

Pionierarbeit durch ein innovationsfreudiges Team

So sehr sich auch das Energiekonzept des ERC als Anwendungsmodell versteht, zeigt doch schon die Vielzahl der Beteiligten, dass hier Pionierarbeit geleistet wird, die in dieser Form auf eine besonders günstige Konstellation angewiesen ist. Die Kombination aus den innovationsfreudigen Klimaingenieuren von Transsolar, einem Architekturbüro wie Zaha Hadid, den interdisziplinär orientierten nergieforschern der international renommierten RWTH Aachen, den lokalen Architekten wie Mayer Bährle und dem  inanziellen Engagement von E.ON bietet Möglichkeiten, die man nicht alle Tage findet. Dennoch sollte man, den zum Teil euphorischen Vorankündigungen des Gebäudes zum Trotz, nicht vergessen, dass auch die besten Ingenieure die Zukunft nur schätzen können. Konkrete Zahlen zum Energiebedarf werden deshalb jetzt noch nicht veröffentlicht. So richtig interessant wird es also erst, wenn das Aachener Raumschiff gelandet ist. Dann sitzen die Forscher in ihrem eigenen Forschungsobjekt und können im laufenden Betrieb überprüfen, wie sich die geplanten Innovationen unter alltäglichen Bedingungen wirklich verhalten. Man darf gespannt sein, welche Schlussfolgerungen dann für die  ukunft des Bauens gezogen werden.

Honke Rambow, Riklef Rambow

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