betonprisma 92: Natur

Beton ist ein Naturprodukt

Dr. Michael Rademacher über den Gesteinsabbau und die Entstehung neuer Biotope

Wer baut, verändert – und schafft Kultur. Wer baut, greift aber auch in die Natur ein, beispielsweise durch den Abbau von Rohstoffen für die Gewinnung von Baumaterialien. Dies gilt auch für die erforderlichen Gesteine für die Zement- und Betonherstellung. Heute werden diese Abbaustätten mittels Biodiversitäts-Management in neue Lebensräume verwandelt und für die Erhaltung der Artenvielfalt genutzt.

Herr Dr. Rademacher, Sie sind Biologe und auf Biodiversität spezialisiert. Was hat Biodiversität mit Zement zu tun?
Unter Biodiversität versteht man die Vielfalt des Lebens auf der Erde. Diese umfasst die genetische Vielfalt, die Artenvielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme. Wir leben heute in einer durch den Menschen geprägten Kulturlandschaft. Die biologische Vielfalt ist über viele Jahrhunderte durch den Menschen stark verändert worden. In den letzten einhundert Jahren hat die Intensivierung der Nutzung zu einem starken Rückgang von Lebensräumen und Arten geführt. Durch gezieltes Management aber können wir heute wieder wertvolle Lebensräume schaffen, die – wie eine Arche Noah – Arten beherbergen, die in der Kulturlandschaft keine Überlebenschance mehr haben. Lebensräume wie zum Beispiel die Steinbrüche, aus denen wir den Kalkstein für die Zementherstellung gewinnen – oder die Kies- und Sandgruben, die wir für die Betonherstellung benötigen.
Wir bauen und verändern, wir können aber dennoch einen Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt leisten. Meine Aufgabe als Biologe ist es, diese durch Kalkstein-, Kies- und Sandabbau bedingten Veränderungsprozesse Natur bewahrend zu gestalten.

Ist Beton ein Naturprodukt?
Beton ist ein lokaler, überall verfügbarer Baustoff: Kalkstein wird in Steinbrüchen erschlossen, in unmittelbarer Nähe der Steinbrüche in Zementwerken zu Zement weiterverarbeitet und dann mit ebenfalls regional verfügbaren Zuschlägen – Sand und Kies – zu Beton gemischt und im Umkreis verbaut. Wir können beim Beton also im ganz eigentlichen Sinn von einem Naturprodukt sprechen.

Wie verhält sich die Ökobilanz von Beton im Vergleich zu anderen Baustoffen, die im Hochbau verwendet werden?
Für die Ökobilanz von Beton wird der gesamte Lebenszyklus betrachtet, von der Produktion über den Rückbau bis zum Recycling. Für jede dieser Phasen wird der Einfluss des Baustoffes auf die Umwelt betrachtet. Da muss sich Beton vor keinem anderen Baustoff verstecken.
Oft lassen sich Ökobilanzen verschiedener Baustoffe nicht direkt miteinander vergleichen. Dazu sind die Eigenschaften und Funktionen zu unterschiedlich. So ist beispielsweise der Carbon Footprint einer Tonne Stahl rund 20 mal höher als der einer Tonne Beton bzw. 60 mal höher, nimmt man Volumen als Bezugsgröße. Jedem ist sicherlich klar, dass diese Art des Vergleiches, schon auf Grund der unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften der beiden Stoffe, nicht sinnvoll ist. Betrachtungen der ökologischen Eigenschaften von Baustoffen sollten immer im Zusammenhang des Bauwerks und dessen Lebenszyklus geschehen, und die können bekanntermaßen sehr unterschiedlich aussehen.
Die Stärken von Beton machen sich vor allem in den Ökobilanzen solcher Bauwerke positiv bemerkbar, die auf eine längere Nutzungsdauer ausgelegt sind und bei denen die Speicherfähigkeit des Betons genutzt wird, um Heiz- und Kühlenergie zu sparen.

Gebaut wird überall – auch mit Beton. Wie weit sind die Transportwege, die erforderlich sind, um Zement bzw. Beton auf der Baustelle verbauen zu können?
Deutschland ist reich an großen Kalksteinlagerstätten, die auch in ferner Zukunft nicht ausgebeutet sein werden. Das Netz der Zementwerke ist relativ gleichmäßig über unser Land verteilt: Standardzementsorten werden in einem Umkreis von 100 bis 150 km um das Zementwerk mit Silofahrzeugen an die Transportbetonwerke ausgeliefert. Von diesen Transportbetonwerken, in denen der Frischbeton hergestellt wird, wird der Beton in einem Umkreis von bis zu 30 km an die Baustellen geliefert. Die kurzen Transportwege spielen auch bei der Betrachtung der Nachhaltigkeitskriterien des Baustoffs eine wesentliche Rolle.

Bei welchen ökologischen Aspekten kann Beton besonders punkten?
Beton wird oft verglichen mit dem Baustoff Holz. Und natürlich haben beide Baustoffe ihre Berechtigung. Die Stärken des Betons liegen vor allem in seiner Langlebigkeit und Fähigkeit, thermische Energie zu speichern sowie in den möglichen Anwendungen im Hoch- und Tiefbau: Bestimmte Konstruktionen können aus Holz nicht hergestellt werden, wie beispielsweise große Brücken oder Hochhäuser.

Können die natürlichen Ressourcen durch ein verstärktes Recycling von Beton noch mehr geschont werden?
Altbeton wird schon heute zu größten Teilen recycelt. Die Recyclingquote liegt in Deutschland bei über 90 Prozent. Der Altbeton wird aufbereitet, das heißt vom Bauschutt getrennt, sortiert, klassifiziert, als Gesteinskörnung erfasst und beispielsweise beim Straßenbau wieder verwendet. Dies ist auch ein Beitrag zum Ressourcenschutz unserer primären Gesteine. Dennoch werden wir auch in Zukunft bei der Herstellung von Beton nicht auf die Zumischung von Primärgesteinen, also Sand und Kies, verzichten können, weil die Menge an recyceltem Beton limitiert ist.

Ist für Sie das natürlich Geschaffene und das künstlich Geschaffene ein Gegensatz?
Vor 10- bis 12.000 Jahren entwickelte sich der Mensch vom Jäger zum sesshaften Siedlungsbauern. Seither verwandelt der Mensch in Mitteleuropa die ursprüngliche Naturlandschaft in eine Kulturlandschaft. Was wir heute als Landschaft, als Tier- und Pflanzenwelt vorfinden, beruht zum großen Teil auf dem Einfluss des Menschen. Es gibt in Mitteleuropa keine Grenze zwischen Natur und menschlicher Kultur. Wir können sogar sagen, dass die Artenvielfalt mit dem wirtschaftenden Menschen bis zum letzten Jahrhundert deutlich zugenommen hat.

Wie geht die Zementindustrie mit den Hinterlassenschaften des Abbaus um?
Die Zement- und Betonindustrie hat seit langem die Schwerpunkte ihrer Arbeit darauf gelegt, die Eingriffe in die Landschaft und das Ökosystem so gering wie möglich zu halten, vor allen Dingen aber auch darauf, die Abbaustätten anschließend wieder voll in den Naturkreislauf zu integrieren. Wir sprechen hier von Renaturierung und Rekultivierung. Die Renaturierung zielt auf Naturschutz und Schutz der biologischen Vielfalt, die Rekultivierung auf die Wiederherstellung der Landschaft für die Forst- und Landwirtschaft und die Freizeitnutzung. Bei der Renaturierung liegt der Schwerpunkt auf der Erhaltung der Artenvielfalt. Wir können sagen, dass die Abbaustätten, wenn man es richtig macht, geradezu Oasen für die Artenvielfalt sind. Unsere Steinbrüche und Abbaustätten sind heute ein echter Mehrwert für die Natur. Gesteinsabbau und Naturschutz sind schon lange keine Widersprüche mehr.
Die Zementindustrie handelt heute nach europaweit gültigen Richtlinien zur Förderung der Biodiversität. Wir arbeiten nach messbaren Schlüsselindikatoren, die wir weltweit zum Thema Biodiversität in Unternehmen erheben, und wir haben für unsere Abbaustätten so genannte Biodiversity-Managementpläne.

Hat sich die Einstellung der Menschen, die in der Umgebung der Abbaustätten leben, bezüglich der Renaturierung und Rekultivierung geändert?
Hier hat ein großer Wertewandel stattgefunden. Heute ist es durchaus opportun, Felswände in Steinbrüchen zu erhalten – als Fenster in die geologische Vergangenheit, aber auch als Lebensräume für Uhu, Wanderfalken und andere Arten. hochwertige Lebensräume, die zum Teil unterDie Gewässer, die in Steinbrüchen entstehen, sind Schutz gestellt werden. Wir werden von den Genehmigungsbehörden und vom Naturschutz immer öfter daraufhin angesprochen, ob wir auch etwas für den Natur- und Artenschutz, für die biologische Vielfalt leisten können. Bereits während des Abbaus renaturieren und rekultivieren wir und erzeugen so eine biologische Dynamik, die in unserer normalen Kulturlandschaft nicht mehr anzufinden ist. Wir schaffen Pionierlebensräume, die es sonst nicht mehr gibt. Ein Beispiel: Der Flussregenpfeifer oder die blauflügelige Ödlandschrecke, eine Heuschreckenart – diese Tierarten leben in Deutschland in den größten Beständen nur noch in renaturierten Steinbrüchen.

Wie lange wird ein Steinbruch genutzt? Und wie lange dauert der Renaturierungs- und Rekultivierungprozess?
In der Regel besteht ein Steinbruch weit über 100 Jahre. Erstaunlicherweise beginnt die Entwicklung zu wertvollen Biotopen schon nach wenigen Jahren. Bereits nach einem Jahr besiedeln die ersten Pionierarten die Rohbodenflächen. Oftmals sind dies seltene Arten: die Gelbunke, die Kreuzkröte und viele weitere. Wenn man die Natur gänzlich sich selbst überlässt, entstehen binnen 60 bis 80 Jahren auf Kalkstandorten wieder kräftige Wälder. Bringen wir einen Oberboden auf und pflanzen Bäume, haben wir bereits nach 20 bis 30 Jahren nutzbare Waldflächen. Heute ist es üblich, dass mit dem Abbau zeitgleich der Renaturierungs- und Rekultivierungsprozess eingeleitet wird. Dadurch gelingt es, offene Flächen so klein wie möglich zu halten.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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