Lattke Architekten, Augsburg / EIGNER Bauunternehmung GmbH, Nördlingen
Stadt Nördlingen
Planung und Ausführung der Decke: EIGNER Bauunternehmung GmbH in Zusammenarbeit mit dem
Institut für Tragwerksentwurf der TU Graz, Prof. Dr.-Ing. Stefan Peters, Dipl.-Ing. B.Sc Christoph Holzinger, Dipl.-Ing. Georg Hansemann, Bau mit Eduart Artner
Planung Gesamtbauwerk: Lattke Architekten mit Prof. Dipl.-Ing. Frank Lattke
Tragwerksplanung Gesamtbauwerk: Reisch Ingenieure mit Dipl.-Ing. (Univ.) Rudolf Otto Reisch
2022
86720 Nördlingen, Maria-Penn-Straße 8
Die Stahlbeton-Leichtbaudecke setzt Beton nur dort ein, wo er notwendig ist. Concrete lightweight ceiling nutzt insgesamt 168 3D-gedruckte Betonsegmente für Schalungen. Die gereihten Aussparungskörper und eine zementreduzierte Betonrezeptur sparen rund 35 Prozent CO2-Äquivalente gegenüber einem konventionellen Bau.
Preisträger Architekturpreis Beton 2023
Die Jury ist von der optimierten Deckenbauweise begeistert. Diese Arbeit zeigt, dass die Zukunft im Drucken von Beton liegen kann. Mit wertvollem Material wird bewusst und sparsam umgegangen. Hier wird Beton dort eingesetzt wo er unbedingt notwendig ist. Die materialoptimierte, ressourcenschonende und ungewöhnliche Art der Konstruktion hat die Jury überzeugt.
Das also ist die Zukunft des Bauens: Eine schwebend leichte Stahlbetonrippendecke über einer großen Tiefgarageneinfahrt. Nördlingen mag bislang nicht der Nabel der Bauwelt gewesen sein, aber dieses klug gestaltete Dach zeigt, was möglich ist, wenn wir die ausgetretenen Pfade der Moderne verlassen und ernsthaft damit beginnen, Material zu sparen. Die Innovation steckt in 168 Betonsegmenten aus dem 3D-Drucker. Diese bilden 48 Aussparungskörper, die genau dem Kraftverlauf der Decke folgen. Das Prinzip ist einfach: Beton wird nur dort eingesetzt, wo er wirklich gebraucht wird. Zusammen mit einer zementreduzierten Betonrezeptur spart die gerippte Betondecke rund 35 Prozent CO₂-Äquivalente gegenüber einem konventionellen Bau ein. Die gereihten Aussparungskörper über einer Tiefgarageneinfahrt wirken wie gespannte Muskeln. Ihr Negativvolumen lässt ahnen, was die zigarrenförmigen Hohlräume in der Decke an Masse sparen.
Wie so oft bei Innovationen entstand die Stahlbeton-Leichtbaudecke Nördlingen als Gemeinschaftsleistung von Industrie und Forschung, genauer: als Projekt der Firmen Eigner Bau und Baumit zusammen mit dem Institut für Tragwerksentwurf der Technischen Universität Graz. Zusammen entwickelten sie eine gewichtsreduzierte Stahlbetondecke. Die Ingenieure der Technischen Universität Graz übernahmen Entwurf und Planung, gefertigt wurden die einzelnen Betonteile direkt bei Eigner Bau, die vor drei Jahren eigens einen 3D-Drucker erwarb. Die Tiefgarageneinfahrt ist insofern Teil einer Versuchsreihe, welche die Möglichkeiten und Grenzen der Technologie in der Praxis ausloten soll. Wolfram Uhl, geschäftsführender Gesellschafter der Bauunternehmung Eigner, sieht das durchaus pragmatisch. Der Fachkräftemangel zwinge einfach dazu, Abläufe auf der Baustelle zu industrialisieren. Es sei einfach zu schade, gute Facharbeiter Holzschalungen auf der Baustelle zusammennageln zu lassen. Der eigene 3D-Drucker liefert insofern eine Antwort auf eine Welt, die mit weniger Menschen am Bau auskommen muss.
Emissionen mindern
Für die Beton-Leichtbaudecke im Zentrum von Nördlingen war das Ziel klar formuliert. Durch den 3D-Betondruck sollte die einachsig gespannte Decke mit Auskragung bei gleicher Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit Material einsparen und folglich CO₂-Emissionen verringern. Doch auch hier hieß es, testen, überprüfen und verbessern. Bevor die Konstruktion vor Ort errichtet wurde, forschte das Team zunächst an einem prototypischen Deckenabschnitt im Labor. Erst nach bestandenem Biegetest machten sie sich daran, die filigranen Betonelemente aus dem 3D-Drucker vor Ort zu einer großflächigen Tiefgaragenüberdachung zu verbinden. Im Tragwerk stecken Potenziale. Denn über den 3D-gedruckten Tonnen wurde konventionell gearbeitet. Der Grund war ebenso pragmatisch wie nachvollziehbar. Der Unternehmer wollte eine in der Norm verankerte Stahlbetonrippendecke, keine Sonderzulassung, und zieht Parallelen zur Architektur der 1970er-Jahre, die auf Rippen- und Kassettendecken setzte, weil Material aufgrund der Ölkrise teuer war. Das plakative Tragwerkssystem erinnert tatsächlich an materialoptimierte Stahlbetonrippendecken der 1970er-Jahre. Es verbraucht 40 Prozent weniger Beton und 30 Prozent weniger Betonstahl.
Eines hat sich freilich geändert in den letzten 50 Jahren: Die Lohnkosten sind erheblich gestiegen, nun droht sogar ein Fachkräftemangel. Die Baubranche verlangt dringend neue Ideen und neue Verfahren. „Heute stehen wir am Scheideweg“, sagt Wolfram Uhl. „Wir müssen wieder intelligenter mit Materialien umgehen, aus Kosten- und Umweltgründen. Jede gewichtsreduzierte Decke hilft; wenn ein Gebäude dadurch 20 Prozent der Masse einspart, hat das Auswirkungen bis hin zum Fundament, das viel sparsamer ausfällt.“
Leichtigkeit gewinnen
1991 formulierte der italienische Schriftsteller Italo Calvino „Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend“. Seine Harvard-Vorlesungen waren ursprünglich nur auf Literatur bezogen, doch schon bald erkannten Architektinnen und Architekten die übergreifende Bedeutung von Calvinos Gedanken, der immer wieder Leichtigkeit und Schnelligkeit gefordert hatte als Maßstäbe künftiger (künstlerischer) Produktion. Wie es scheint, hat diese Revolution inzwischen die Bauwelt erfasst, die mit neuen Konzepten und Werkzeugen Bestehendes optimiert. Der nächste Schritt ist ein Sprung: von der langsamen Verbesserung zum grundsätzlich Neuen, zu Materialkreisläufen, wie sie übrigens vor der Moderne üblich waren. Die im April 2022 ausgeschalte Stahlbeton-Leichtbaudecke zeigt diesen Weg des Massivbaus Richtung Materialoptimierung und Nachhaltigkeit. Ein Weg, der unumkehrbar erscheint angesichts schwindender Ressourcen und steigender Rohstoffpreise. Wo aber liegen die Grenzen des optimierten Bauens? In einem Interview mit dem Wiener „Standard“ zeigten sich Professor Stefan Peters vom Grazer Institut für Tragwerksentwurf sowie Georg Hansemann optimistisch, dass mit gedruckten Aussparungskörpern gegenüber herkömmlichen Stahlbetondecken bis zu 40 Prozent Volumen beziehungsweise 50 Prozent CO₂-Äquivalente eingespart werden können.
Die Zukunft verbindet modernste Fertigungstechnik mit traditionellen Konstruktionen. Während die Moderne vor allem auf Geradlinigkeit und die Wiederholung gleichförmiger Elemente setzte, lassen sich künftig Kleinserien und Unikate in gleichbleibend hoher Qualität drucken. Wie wird eine Architektur aussehen, die dank 3D-Druck und Gewölben große Flächen mit minimalem Materialaufwand überspannt? Wer weiß, vielleicht stehen wir am Beginn einer Digitalgotik?
Ein Wermutstropfen freilich bleibt in Nördlingen: Musste diese Innovation ausgerechnet für eine Tiefgarage getestet werden? Da muss Wolfram Uhl schmunzeln. In Zukunft sieht er durchaus andere Möglichkeiten und größere Aufgaben. Auch hier zeigt sich ein Stück Pragmatismus. Die Garagenüberdachung bot die Chance, das Verfahren ohne großen Druck zu testen. Es gab genug Zeit für alle Tests, zudem bieten die geformten Betonelemente vor Ort einen Vorteil: Sie brechen den Lärm der Fahrzeuge beim Ein- und Ausfahren. Das klingt tatsächlich nach Zukunft.
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