Steimle Architekten BDA, Stuttgart
privat
2016
Pliezhausen
Sichtbeton 50 cm dick
Leichtbeton mit Blähtonzuschlag
Architekturpreis Beton 2017
Preisgekrönte Architektur erwartet man nicht unbedingt im ländlichen Raum, in einer Gemeinde mit weniger als 10.000 Einwohnern. Aber ganz offensichtlich schließen sich dörfliche Prägung und Mut zum Experiment nicht aus. 30 km südlich von Stuttgart, mitten im Neckartal, punktet Pliezhausen zuallererst durch Tradition und Naturnähe. Aber auch im Bereich der Architektur macht der Ort nicht zum ersten Mal von sich reden – zuletzt generierte der zeitgleich fertiggestellte Neubau der Neuapostolischen Kirche von Ackermann+Raff Architekten, eine abstrakte, preisgekrönte Beton-Skulptur, große Aufmerksamkeit. Die Kirche und das neue Wohnhaus E20 von Steimle Architekten inmitten einer Wohnanlage der Gemeinde verbindet vor allem eines: die Verwendung von Dämmbeton (Leichtbeton mit Blähtonzuschlag). Zudem wirken beide in ihrem Erscheinungsbild betont reduziert.
Bei aller formalen Exotik und Eigenständigkeit bezieht sich das neue Wohnhaus zunächst einmal auf seine aus Einfamilienhäusern bestehende Umgebung. Satteldachform und parallel geführte Längsseiten greifen den vorhandenen baulichen Kontext auf. Wie in den Hügel geschoben wirkt E20 auf dem sanft ansteigenden Grundstück. In einer freien Form wächst es aus seinem sechseckigen Grundriss empor. Die Längsseiten bilden klare Fronten zu den Nachbargrundstücken. Erst die spitz zulaufenden Schmalseiten verhelfen dem Korpus zu seinem einzigartigen Aussehen und zugleich zu einer Streckung auf den Hügel hinauf, wo der Schonstein in Richtung Garten den Höhenabschluss bildet.
Der Dämmbeton des Wohnhauses E20 ist 50 cm dick – entstanden ist ein kantiger Monolith. Seine Fassade weist auf die Form der Verarbeitung hin – die Struktur der Bretterschalung zeichnet sich deutlich ab. Dadurch verliert der Baukörper, der an einen Findling in der Natur erinnert, an Monumentalität. Das sägeraue Antlitz gibt der Gebäude-Skulptur ihre Materialechtheit und zugleich etwas Ursprüngliches.
Betreten wird das Haus von der Straßenseite. Hier ist die Fassade weitestgehend geschlossen, nur ein kleiner Teil eines sich weit über die Schmalseite ziehenden Eckfensters öffnet diese Front. Über einen tief aus dem Betonkörper geschnittenen Eingang betritt man das Gebäude und gelangt ins Untergeschoss. Diese Ebene umfasst neben einem Foyer die Garage sowie verschiedene funktionale Räume. Dem Wohnen ist der Bereich darüber zugeteilt, der über eine Treppe erschlossen wird. Dort angekommen, entfaltet sich das Volumen des Baukörpers und zeigt seine Streckung in die Höhe. Alle Räume des Hauses nehmen durch trapezförmig angelegte Grundrisse die freie Form des Hauses auf. Aus der Wandstellung ergeben sich vielfältige Raumbezüge. Im großzügigen lichtdurchfluteten Wohn-Ess-Bereich sind die Wände gefaltet bzw. verlaufen schräg geschnitten und vertikal gerichtet. Fließend öffnet sich der Raum zur Terrasse an der Rückseite des Hauses. Aus der Grundform ergeben sich überraschende Ecken und Verwinkelungen, Engen und Weiten und eben unterschiedliche Höhen. Schlaf- und Kinderzimmer sind als eigenständige Einheiten mit zugehörigem Bad eingestellt.
Auch in den Einbauten und im Mobiliar spiegelt sich die Flächengestaltung von Innen- wie Außenraum. So folgen die Stufen der Treppen, die einen Teil des Kinderzimmers galerieartig auf die nächste Ebene heben, diesem Prinzip, indem die einzelnen Flächen als spitze Dreiecke ausgebildet sind. Konsequent bestehen Wände und Böden aus hellen, glatten Oberflächen – eine Kombination aus unbehandeltem Beton, weißem Putz und Holz. Das massive Eichenholz der Böden strahlt in dem sonst kühlen Ambiente eine angenehme Sinnlichkeit aus. Hinzu kommt die großzügige Sicht in den Garten wie in die Ferne, die überrascht und Ergebnis der schräg verbauten Fassaden ist. Sie kontrastiert mit der verschlossenen Aussenansicht, die letztlich nicht nur eine mutige, für den Ort exotische Entscheidung der Architekten war, sondern vor allem auch in Sachen Energieeffizienz und Ressourcenschonung punktet. Denn die einschalige Dämmbeton-Lösung ermöglicht einen Verzicht auf jegliche Wärmeverbundsysteme.
Bildnachweis: Brigida González, Stuttgart / Steimle Architekten, Stuttgart
Social Stream
Instagram
Linkedin
Youtube
Folgen Sie uns auf: