Land Vorarlberg
Arbeitsbereich Massivbau und Brückenbau und Institut für Textilchemie und Textilphysik der Universität Innsbruck; Prof. Feix Ingenieure, München (Machbarkeitsstudie, statische Nachrechnung, Konzeptentwicklung, Kostenschätzung, Ausführungsplanung); Curbach Bösche Ingenieurpartner (Prüfstatiker); TVFA, Innsbruck, OML, Dresden, und CarboCon, Dresden (Versuchsanstalten); RAC, Lustenau, und TEXIBLE, Dornbirn (Herstellung Textile Bewehrung); Röfix, Röthis (Nassspritzreparaturmörtel); i+R Gruppe; Lauterach (Bauabläufe & Probekörperherstellung); Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (Finanzierung)
2024
Damüls, Faschina Straße
Das Leben einer Straßenbrücke: Tonnenschwere Autos und Lkws rasen über die Fahrbahn. Wind und Regen peitschen gegen Pfeiler und Balken. Auf Sonnenhitze im Sommer folgen Schnee und Frost im Winter. Wie lange kann ein Bauwerk dem standhalten? Auf knapp 35 Jahre brachte es die Krumbachbrücke in Damüls, als Materialermüdungen bei ihr festgestellt wurden. Mittlerweile steht die Instandsetzung und Verstärkung der Tragkonstruktion, die sogar Gegenstand universitärer Forschung war, kurz vor dem Abschluss.
Hütten, Landhäuser, Alpinresorts und Berghotels heißen die Gäste willkommen, die das kleine Damüls im Westen Österreichs aufsuchen, einem Startpunkt für Skiausflüge am nördlichen Alpenrand. Zwischen den Herbergen ragt der rote Zwiebelturm einer Kirche auf, aus dem tiefen Tal ragen Nadelbäume. Nur rund 330 Menschen leben auf den Hängen der Vorarlberger Gemeinde. Von hier oben blicken sie hinab auf die langgestreckte Biegung der Krumbachbrücke, die den namensgebenden Bach überquert, der unten plätschert. Die 117 Meter lange, auf schlanken Stützen stehende Betonkonstruktion ist Teil der Landstraße 193, die sich von Thüringen nach Au durch den Bregenzerwald schlängelt.
Plattenbalkenbrücke
Errichtet wurde das für den Ort und den dortigen Tourismus überlebenswichtige Bauwerk von 1981 bis 1983. Es handelt sich um eine Balkenbrücke. Die insgesamt rund 14 Meter breite, leicht zum Innenradius geneigte Fahrbahnplatte ist mit vier 2,80 Meter hohen und 38 Zentimeter starken Plattenbalkenstegen verbunden. Diese Konstruktion bildet den Überbau. Die äußeren Stege lagern auf zwei Pfeilerpaaren, die jeweils 36 Meter von den Widerlagern am Hang entfernt stehen. Das Mittelfeld der Brücke ist 45 Meter lang, einige Meter länger sind die zwischen den Stegen liegenden Betonplatten, durch die der stabilisierende Hohlkasten ausgebildet wird.
Der Überbau nimmt die Kräfte aus Eigengewicht, Verkehrslast, Windlast und Schneelast auf, die dann in die Lager und Pfeiler und letztlich in die Fundamente abgeleitet werden. Die Tragfähigkeit hängt also in erster Linie von der Biegesteifigkeit des Überbaus ab.
Bestandsuntersuchung
Ab 2016 wurde eine umfassende Bestandsuntersuchung durchgeführt, bei der auch die Statik der Brücke neuberechnet wurde. Neben Schäden an den Betonflächen des Brückenoberbaus und undichten Stellen am Fahrbahnbelag wurden Defizite der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit des Tragwerks festgestellt. Um die Krumbachbrücke weiter nutzen zu können, wurden drei Maßnahmen identifiziert: Erstens musste der Fahrbahnbelag ersetzt sowie Randbalken, Abdichtungen, Geländer und Entwässerung erneuert werden. Zweitens sollte, zur Aussteifung, in den Randfeldern jeweils ein Stahlfachwerkverband eingebaut werden. Und drittens sollten die Tragwerkplatte und die Plattenbalkenstege verstärkt werden, um die Querkraft- und Torsionstragfähigkeit zu erhöhen.
Die Instandsetzung des Brückenoberbaues und die Aussteifung der beiden Randfelder sollte mit Stahlbeton erfolgen. Für die Verstärkung kam er jedoch nicht infrage. Das Eigengewicht zusätzlicher, 12 bis 15 Zentimeter dicker Spritzbetonschichten – wie sie sonst üblich sind – hätte nämlich die Tragfähigkeit der Bestandsbrücke herabgesetzt. Eine Alternative musste also her, die mit weniger Material auskommt und damit entsprechend weniger Eigengewicht aufweist.
Vom Labor in die Berge
Bereits 2017 nahmen Gemeindevertreter und die Universität Innsbruck Kontakt zueinander auf. An der Tiroler Hochschule beschäftigen sich Forschende mit textilen Bewehrungen für Betonbauteile. Textilbeton ist gegenüber Stahlbeton weniger anfällig für Korrosion, denn die im Beton eingelegten Carbonnetzgewebe können nicht rosten. Den Baustoff untersuchten die Wissenschaftler von 2018 bis 2020 im Rahmen des EU-geförderten Forschungsprogramms concrete-X. Neben Fertigungsverfahren und Beschichtungssystemen für gestickte Bewehrungstextilien entwickelte sie dabei auch ein Konzept zur Ertüchtigung von Plattenbalkenbrücken.
Der Arbeitsbereich Massivbau und Brückenbau arbeitete nicht nur mit dem Institut für Textilchemie und Textilphysik der Universität zusammen. Gemeinsam mit dem Münchner Planungsbüro Feix Ingenieure erstellten sie eine Machbarkeitsstudie. Das Büro lieferte auch eine statische Nachrechnung, entwickelte das Konzept mit, schätzte die Kosten und übernahm die Ausführungsplanung. Ebenfalls involviert war RAC, ein auf Kompositbauteile spezialisiertes Vorarlberger Unternehmen, und Texible, ein Start-up mit Wurzeln an der Universität Innsbruck, das sich mit intelligenten Textilien beschäftigt.
Umfangreiche Versuche mit Klein- und Großbauteilen in Innsbruck und Dresden, eine Lebenszykluskostenermittlung und Variantenvergleiche ergaben, dass die Voraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz von Textilbeton bei der Krumbachbrücke gegeben waren. Mit den gewonnenen Erkenntnissen reisten die Betontechniker schließlich nach Damüls.
Vertikal, horizontal und über Kopf
Im Herbst 2021 wurden zunächst die Querträger eingesetzt, im darauffolgenden Mai starteten dann die Textilbetonarbeiten an den Stegen der Randfelder. Auf ungefähr 3.300 Quadratmetern Fläche wurden 6.600 Quadratmeter Carbonfasermatten und circa 100 Tonnen Mörtel aufgetragen, teilweise sogar über Kopf. Die textile Bewehrung nimmt die Zugspannungen auf, der Beton dient dem Abtrag von Druckspannungen, der Herstellung des Verbundes und dem mechanischen Schutz der Bewehrung.
Gearbeitet wurde Schicht für Schicht: Zunächst spritzten die Bauarbeitenden 1 cm dick Mörtel bzw. Feinbeton auf die Bestandsoberfläche. Dann legten sie die ersten Mattenstücke an, die sich jeweils überlappen, sodass sich ein Bewehrungskorb bildet. Darauf folgten die nächste, ebenfalls 1 cm dicke Betonschicht und die zweite Lage Carbonfasermatten. Zum Abschluss wurden wieder 1 cm Beton aufgetragen. Die betongedeckten Carbonfaser-Bewehrungskörbe verankerten sie dann mit in Verbundharz getränkten Betonschrauben, die sie schräg in die Kante von Steg und Fahrbahnplatte bohrten.
Die Forschenden gehen davon aus, dass die Sanierung mit Textilbeton zwar teurer werden dürfte als eine mit Stahlbeton, dafür soll die Brücke weitere 50 bis 60 Jahre in Betrieb bleiben können. Im Herbst 2023 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein.
Bildnachweis: Matthias Egger (Fotos und Pläne)
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