Architekt: Hascher Jehle Architektur, Berlin
Ed Züblin, Stuttgart (Rohbau); Heidelberg Zement, Heidelberg (Beton); MBM Konstruktion, Mockmühl (Fassade); Carl Stahl, Süssen (Netzanlage); Clauss Markisen, Bissingen (Sonnenschutz); Radeburger Fensterbau, Stimpfach (Panzerverglasung); Kutsch R. & S. KU, Aachen (Estrich)
2013
70376 Stuttgart, Wilhelmaplatz 13
Zwischen den Gehegen der Giraffen, Elefanten, Erdmännchen und Zebras befindet sich das Menschenaffenhaus des zoologisch-botanischen Gartens Wilhelma in Stuttgart. Auf einer Erhebung im Norden errichtet, bildet es gemeinsam mit seinen Nachbarn den Schwerpunktbereich Afrika. Mit seinen Außen- und Innenanlagen erstreckt es sich über eine Fläche von 3.500 Quadratmetern und ist damit knapp 13 Mal größer als sein Vorgängerbau. In der artgerecht konzipierten Unterkunft leben momentan neun Gorillas und 16 Bonobos. Die Planung übernahm das Büro Hascher Jehle aus Berlin.
Das annähernd s-förmige Gebäude schlängelt sich als künstlich konzipierter „Bergrücken“ um den alten Baumbestand der Wilhelma. Seine schalenartig konstruierten Dachflächen sind begrünt und biegen sich an ihren Enden nach unten, sodass sie fließend in die Parklandschaft übergehen. Der Zugang ist von zwei Seiten möglich: ein Eingang befindet sich im Nordosten, der andere im Südwesten des Affenhauses. Im Inneren sind sie über einen recht breiten, ebenfalls s-förmigen Gang verbunden, der von tropischen Gewächsen, Infotafeln und Bänken eingefasst ist. Die Wegeführung ist so angelegt, dass immer eine Seite zu den Innengehegen ausgerichtet ist, die andere mit großflächige Verglasungen zu den Außenanlagen und der Landschaft. Im südlichen Teil des Gebäudes befinden sich die Gehege der Bonobos, im nördlichen die der Gorillas.
Die bis zu sieben Meter hohen Innengehege sind als Spiellandschaften mit terrassierten Flächen, 40 Zentimeter dicken Rindenmulchböden, baumartigen Stützen und trapezförmigen Oberlichtern ausgebildet. Karusselle, Hängematten, Seile und Klettervorrichtungen sollen dafür sorgen, dass sich die Tiere nicht langweilen. Den Bonobos steht sogar ein Kino zur Verfügung. 2,50 Meter hohe und vier Zentimeter dicke Panzergläser trennen die Affen von den Menschen. Über den Verglasungen befinden sich Gitter, damit die Besucher sowohl die Gerüche als auch die Geräusche miterleben können. Über 90 hydraulisch gesteuerte Schleusen lässt sich die jeweilige Belegung der Gehege verändern.
Die Außengehege sind mit ihrer dicht bewachsenen Pflanzendecke den natürlichen Lebensräumen der Affen nachempfunden. Das der auf Bäumen lebenden Bonobos gleicht einem Klettergarten-Wald, der in einer Höhe von 13 Metern von einer 3.500 Quadratmeter großen Seilnetzkonstruktion à la Frei Otto überspannt wird. Die Gorillas hingegen sind keine guten Kletterer, weshalb ihr Gehege als weitläufige Landschaft mit Felsen aus Travertin gestaltet ist. Da sie außerdem nicht schwimmen können, reicht ein zwei Meter tiefer und sechs Meter breiter Wassergraben zur Abgrenzung des Geheges von der Umgebung. In den sogenannten Nahbegegnungszonen stellen torartige Panoramafenster den Sichtkontakt zu den Menschaffen her.
Die Räume der Mitarbeiter sind für den Besucher nicht sichtbar, im Norden des Bergrückens angelegt. Dazu gehören u.a. Übernachtungsmöglichkeiten für die Pfleger, eine Quarantänestation sowie eine Handaufzucht für Gorillababys – ausgestoßene Tiere aus ganz Europa können hier aufgepäppelt, groß gezogen und stufenweise in die Familien integriert werden. Zum Studieren, Forschen und Überwachen stehen den Pflegern Kameras und Monitore zur Verfügung.
Wände, Stützen und die gewölbten Dachflächen bestehen aus graubeige gefärbtem Sichtbeton, die Böden aus Zementestrich. Alle Bauteile stoßen fugenlos aneinander und gehen optisch ineinander über. Abgerundete Kanten verringern die Verletzungsgefahr; Leitungen und Profile sind aus Hygienegründen in die massiven Bauteile eingelassen. Insgesamt wurden rund 515 Quadratmeter Beton verbaut. Die meisten Bauteile entsprechen der Festigkeitsklasse C30/37, die Expositionsklassen liegen je nach gefordertem Karbonatisierungsschutz zwischen XC1 und XC4. Da die Innengehege starken Belastungen durch Tierexkremente und Reinigungsmittel ausgesetzt sind, wurde hier, ähnlich wie beim Bau von Klärbecken oder Güllebehältern, eine Expositionsklasse von XC3 bzw. XA1 gewählt.
Die zwei gewölbten Dachschalen des Affenhauses wurden mit einem schwach fließenden Beton der Konsistenzklasse F3 (weicher Beton) hergestellt, um ein Abrutschen der schrägen Flächen zu verhindern. Bei den baumartigen Stützen im Innenraum wählten die Planer einen Beton der Festigkeitsklasse C45/55 mit dem Ausbreitmaß F6 (sehr fließfähiger Beton). Die sehr einheitlichen Oberflächen entsprechen je nach Anforderung den Sichtbetonklassen SB1, SB2 und SB3. Passend dazu wurden die Metallprofile der Glasfassaden, die Geländer und Trennwände farblich abgestimmt. Einen angenehm warmen Kontrast dazu bilden die Sitzbänke und Handläufe aus Eiche sowie das üppige Grün der Bäume und Sträucher.
Die hohe Speicherkapazität der Betonkonstruktion dämpft auftretende Temperaturschwankungen im Gebäudeinneren. Ohne den Einsatz aufwendiger Technik bleibt es innen auch an heißen Tagen kühler als draußen. So liegen die Temperaturen im Sommer bei 30°C mit Luftfeuchtigkeit von 45 bis 75%. Im Winter sorgen Niedertemperaturheizungen und Flächenheizungen im Sichtbeton für angenehme 20°C mit 60 bis 80% Luftfeuchte. Lediglich die Be- und Entlüftung erfolgt auf mechanischem Wege und ist sensorgesteuert: Fassadenklappen in Bodennähe lassen in den Nachtstunden kühle Frischluft hinein, die warme Innenluft entweicht über die Oberlichter in den Gehegen.
Bildnachweis: Hugo Jehle, Stuttgart und Svenja Bockhop, Berlin
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