K9 ARCHITEKTEN, Freiburg
Kath. Kirchengemeinde Herbolzheim-Rheinhausen
Walther & Reinhardt, Herbolzheim (Tragswerkplanung); Kalt Massivbau GmbH, Lahr (Betonwerk)
2017
Herbolzheim
Massivbauweise
Stampfbeton mit geringem Wasserzementwert, Festigkeit C 25/30, Farbpigmente;
farbiger Sichtbeton (innen): Festigkeit C 25/30, rote Farbpigmente
Mit dem neuen Begegnungsort für Menschen setzt die Kirchengemeinde ein Zeichen für Zukunft und Standfestigkeit in bewegten Zeiten sowie das nachhaltige Bauen mit Beton: Die Innenwände des eingeschossigen Neubaus sind in Sichtbeton erstellt und die Außenfassade besteht aus Stampfbeton, was ihr eine warme und natürliche Anmutung verleiht. In Kombination mit dem geradlinigen Gebäudeentwurf ist es K9 Architekten gelungen, Alt und Neu einfühlsam zu verbinden und moderne Architektur im besten Sinne zu erschaffen.
Der neue Pfarrsaal befindet sich zwischen Schulstraße und der eigentlichen Kirche der katholischen Gemeinde. Durch seine eingeschossige Bauweise passt er sich ideal dem Gelände und der Bestandsbebauung an. Das schlicht- elegante Polygon wirkt wie eine optische Verlängerung der Friedhofsmauer. Dieser Eindruck entsteht vor allem durch die Stampfbetonfassade mit ihren vielfältigen Farbpigmentierungen in variierenden Lagenhöhen. Das ergibt eine lebendige und natürliche Struktur, die sehr gut mit der historischen Mauer harmoniert. Da Neubau, barocke Kirche und denkmalgeschützter Altbau ein stimmiges Ensemble bilden sollen, war den Planern eine Fassade wichtig, die mit ihrer warmen Farbgebung einerseits zurückhaltend wirkt, aber gleichzeitig eine gewisse Ausdrucksstärke besitzt.
Stampfbeton gehört zu den ältesten Betonarten und geht zurück auf das Anfang des 17. Jahrhunderts in Frankreich praktizierte Pisé-Verfahren, bei dem Lehm zu Wänden gestampft wurde. Beim Stampfbeton hingegen wird unbewehrter Beton auf Basis von Natursteinen und Zement durch Druckstöße verdichtet. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Material wegen seiner Dauerhaftigkeit und Druckfestigkeit für den Bau großer Fundamente und Brückenpfeiler eingesetzt. Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Ära des Stahlbetons begann, geriet Stampfbeton in Vergessenheit. Seit einigen Jahren erlebt er eine Art Renaissance, weil das schichtweise Betonieren und Verdichten eine besondere Ästhetik ermöglicht.
Der Stampfbeton wurde auf der Baustelle (geringer Wasserzementwert, C 25/30, Farbpigmente) angemischt und in erdfeuchter Konsistenz schichtweise in die Schalung eingebracht. Die Verdichtung erfolgt in ’Handarbeit’ bzw. über arbeitsintensives Stampfen. Am Ende erhält man eine sehr dauerhafte und druckfeste Konstruktion mit einer markanten Oberfläche, bei der die Schichten ablesbar bleiben.
So ohne weiteres umsetzbar war die traditionelle Stampftechnik beim Gemeindesaal aber nicht, da die Stampfbetonbauweise Erfahrung und Präzision erfordert.
Zunächst mussten die Architekten eine Rohbaufirma finden, die sich in das heute wenig verbreitete Verfahren einarbeiten wollte. Im Betonlabor einer Rohbaufirma aus Lahr wurden mehrere Musterwände erstellt und die endgültige Betonrezeptur festgelegt. Außerdem war eine spezielle Schalung erforderlich, damit später keine Ankerlöcher in der Oberfläche zu sehen sind. Die Schichthöhen wurden vordefiniert und bei den Arbeitsabschnitten mussten die angrenzenden Schichthöhen exakt wieder aufgenommen werden.
Der Neubau beherbergt den Gemeindesaal, Funktionsräume, eine Küche mit Durchreiche und ein Foyer in Richtung Kirchplatz. Im rückwärtigen Bereich öffnet sich der Gemeindesaal zu einem Garten. Die Stahlbetonwand im Saal ist als Verlängerung der alten Friedhofmauer in rot pigmentiertem Sichtbeton (C 25/30) ausgeführt. Ursprünglich sollte die Wand gestockt werden, um eine ähnliche Oberflächenwirkung zu erzielen wie bei den Stampfbetonwänden. Dem Bauausschuss gefiel die rote, glatte Wand im Gemeindesaal jedoch so gut, dass auf das Stocken verzichtet wurde. Interessant ist hier, wie viel Wirkung die Einfärbung hat. Bei einer grauen Sichtbetonwand wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen.
Die anderen Wände des Saals sowie jene im Foyer sind mit Birkenholz verkleidet. Auch die Decken sind hell in weiß gehalten. Das Schrägdach ist unterseitig mit einer weiß lasierten Akustikdecke aus Weißtanne verkleidet und der Boden aus dunklem Gussasphaltestrich setzt einen Gegenakzent. Für eine gleichmäßige Verteilung der natürlichen Belichtung sorgen große Glasfronten und Oberlichter im Dachaufsatz. Das Gebäude hat einen öffentlichen Teil, der dem Geschehen auf dem Kirchplatz zugewandt ist, und einen eher privaten Teil mit einem Raum für Festivitäten, der rund 100 Besuchern Platz bietet.
Im Gemeindesaal gibt es einen ungewöhnlichen Blickfang, der die Geistlichkeit des Raumes zusätzlich unterstreicht: In der Innenwand ist ein Fenster eingelassen, das außen flächenbündig in der Stampfbetonfassade sitzt. Von innen wird es durch eine bedruckte Glasscheibe hervorgehoben. Die Grafik zeigt archäologische Funde, die während der Bauarbeiten gemacht wurden. Die Motive stammen von Spolien der mittelalterlichen Vorgängerkirche.
Da es sich um einen sakralen Raum handelt, wurde in der Fensternische auch ein Standkreuz aus Edelstahl platziert. Bei den Ausgrabungen wurde außerdem eine massive Wehrmauer freigelegt. Diese bleibt als Kulturdenkmal im Boden erhalten und wurde in ihrer Lage im Außenbelag sichtbar gemacht. Weitere Fundstücke wurden in den Außenanlagen inszeniert.
Im Rahmen des Projekts wurde auch ein denkmalgeschützter Altbau aus dem Jahr 1791 umgebaut, saniert und barrierefrei erschlossen. In dem einstigen Schulgebäude mit zwei Obergeschossen sind das Pfarramt, ein Mehrzweckraum mit integrierter Bibliothek und zwei Wohnungen untergebracht. Das Haus erhielt einen Aufzug, eine neue Fassade und alle Fenster wurden durch neue zweiflügelige Holzfenster ersetzt. Ein weißer Anstrich der Gewände und Gesimse sowie die hellgraue Putzfläche sorgen für ein frisches Erscheinungsbild. Innen kamen Eichenholzparkett, Naturstein und Linoleum in warmen Farbtönen zum Einsatz. Aus Gründen des Denkmalschutzes wurden lediglich die Decke des obersten Geschosses und der Boden des Erdgeschosses gedämmt. Sowohl Alt- als auch Neubau werden über ein Mikro-Blockheizkraftwerk im Bestandsgebäude versorgt.
Bildnachweis: K9 ARCHITEKTEN BDA DWB Borgards . Lösch . Piribauer (Leopold Piribauer, Sirka Eggers, Ralph Eggers)
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