&MICA GmbH, Berlin
Brant Immobilien GmbH, Berlin
Bauleitung: Reiter Architekten PartGmbB, Berlin
Landschaftsarchitektur: atelier le balto, Berlin
Statik Gründung: IGT – Ingenieurbüro für Grundbau und Tragwerksplanung, Berlin
Statik: SFB Bauingenieure GmbH, Berlin
TGA: Ruß Ingenieurgesellschaft GmbH, Berlin
Signaletik: Studio Gourdin, Hamburg
Rohbau: HBKW, Königs Wusterhausen
Trockenbau: Johannnes-Günter Wegner Akkustik- und Trockenbau, Schildow
Geothermie: aQua-thermic Bohrgesellschaft mbH, Strausberg
Dachdecker: Bauklempnerei Wolter Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Betriebs KG, Berlin
Fenster: Fresand GmbH, Reddelich
2022
10179 Berlin, Köpenicker Straße 122
Innen und außen roh belassene und zukünftig gut recycelbare, tragende Stahlbetonkonstruktion.
Campus für kreatives Arbeiten bestehend aus einem Neubau mit Fahrrad-Tiefgarage sowie zwei sanierten Gründerzeitbauten. Nachhaltigkeit und Naturnähe: Umfangreiche Begrünungen und Refugien für die Stadtnatur. Klimafreundliche Technik und Energieeffizienz mit Geothermie und Photovoltaik. Behutsame Integration von alter Bausubstanz in den Neubau.
Preisträger Architekturpreis Beton 2023
Neuer Gewerbebau integriert in vorhandene Strukturen ist mit Sicherheit eine wichtige Zukunftsaufgabe im gesamten Bauen in Deutschland. Die Struktur der großen Balkone mit der intensiven Begrünung zeigt ein neues Bewusstsein für die Stadt. Die Stahlbetonkonstruktion wird auf ein Minimum reduziert und ist gleichzeitig auch der Träger für die Begrünung. Dass ein gutes Gebäude nur zusammen mit den Außenräumen entstehen kann, wird hier mehr als deutlich. Die Frage wie schaffen wir es den Artenschutz auch in der Stadt zu gewährleisten, zeigt diese Betonkonstruktion mit der intensiven Begrünung auf hervorragende Art und Weise. Eine vorbildliche Sanierung historischer Bausubstanz, die konsequent ergänzt und weitergedacht wurde.
An Berlins Köpenicker Straße zeigt sich, wie die grüne Spreemetropole in Zukunft aussehen könnte: eine leichtfüßige Mischung aus Tradition und Moderne, digitaler Infrastruktur und Backsteinmauern, aus denen immer wieder Neues wächst. In diesem Fall ein halbes Dutzend schnörkelloser Büroetagen hinter grünen Fassaden. Das Haus ist durch horizontale Fensterbänder und expressive, sich nach oben verbreiternde Stützen klar gegliedert: Balkone aus Beton schützen bodentiefe Fensterfronten vor zu viel Sonne, Stützen geben dem Kräfteverlauf markante Gestalt. Das Ganze wirkt souverän, weil der Neubau nicht auftrumpft, sondern sich hinter einer weiteren Schicht aus Pflanzen fast auflöst.
Die Größe der Anlage mit ihren beiden Innenhöfen erschließt sich dem Auge zunächst nicht. Tatsächlich entwickelten &MICA Architekten mitten in Berlin ein 11.650 Quadratmeter großes Bürohaus, das zwei denkmalgeschützte Gebäude des ehemaligen Post- und Telegraphenbauamtes mit einem siebengeschossigen Neubau weiterentwickelt. Ursprünglich war der 1880 fertiggestellte Mauerwerkbau des einstigen Postamts SO 16 mit hellroten Ziegeln und dunklen Glasursteinbändern geschmückt, wurde aber im Zweiten Weltkrieg in wesentlichen Teilen zerstört und die Reste bis zum Erdgeschoss abgetragen. Stehen blieben nur die charakteristischen Rundbogenfenster samt verzierter Schlusssteine.
Die unter Denkmalschutz stehende Backsteinfassade des Vorderhauses bildet die Basis, über welcher der Neubau aufragt. Seine klare Struktur wird durch eingesprengte Grüninseln immer wieder aufgebrochen, was seine skulpturalen Bauteile eher betont. Die Architekten sahen die Verbindung zum ehemaligen Telegraphenbauamt durchaus augenzwinkernd: „Um dem Bestandsgebäude ein würdiges Gegenüber zu geben, mit vergleichbarer Materialqualität, wurde der Neubau als Ruine konzipiert, die von der Natur zurückerobert wird.“ Tatsächlich dachten sie entlang dieser Maxime alles Neue von vornherein ziemlich „roh“, sodass die Kontraste aus historischem Fassadenfragment und Neubau mit seiner schlichten Betonfassade, großzügigen Glasfronten und üppigem Grün ein größeres Bild ergeben – eine Einheit. Dazu zollten sie dem Bestand Respekt und arbeiteten die verbliebenen Fenstergitter, Kastenfenster und Brüstungen, historischen Treppengeländer und Ziegelkappendecken sorgfältig auf. Hinzugefügt wurde nur, was wirklich nötig war: Im Altbau entfiel beispielsweise eine Lüftungsanlage, da die Architekten nachweisen konnten, dass die freie Lüftung ausreicht. „Dem Denkmal seine Geschichte lassen“, lautete die Devise, nach der auch der Neubau umso selbstverständlicher auftreten konnte.
Der L-förmige Kopfbau springt zum ersten Hof zurück und schafft Raum für viel Grün. Ein Wegenetz durchzieht die baumbewachsene Anlage, auf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Büros Pause machen und Besprechungen abhalten können. Hier liegen Nistkästen für Mauersegler und Haussperling sowie Winterquartiere für Fledermäuse. Die mit Grün durchsetzte Fassade des U-förmigen Hauptgebäudes mit einem weiteren Innenhof verspricht Transparenz in mehrerer Hinsicht. Aus Gabionen sollen Pioniergehölze die Balkone erobern und gleichzeitig als Klimapuffer und natürlicher Feinstofffilter dienen. Nachhaltigkeit und Raumklima bilden eine Einheit – als Teil eines zukunftsweisenden Sanierungs- und Nutzungskonzepts: „Die innen und außen roh belassene und zukünftig gut recycelbare Stahlbetonkonstruktion ist auf ein Minimum reduziert, wobei die Decken innen sowohl Heizung als auch Kühlung über die Betonkerntemperierung ermöglichen. Durch die im Beton eingelegten Paneele wird ein gleichmäßiges Gebäudeklima erzeugt“, sagen die Architekten. „Die Nutzung von Beton ermöglicht bei diesem Projekt ein optimales Bauvolumen für eine effiziente und umweltfreundliche Klimatisierung.“ Insgesamt legten &MICA viel Wert auf Baustoffe und Verarbeitungsweisen, die „sowohl für die menschliche Gesundheit als auch für die Umwelt unbedenklich sind."
Generell erprobt das Haus die Kunst des Weglassens – an Technik wie an Beschichtungen, Einbauten und Oberflächen. Das verspricht Flexibilität für künftige Nutzungen. Trennwände etwa lassen sich jederzeit und ohne große Eingriffe in Decke und Boden einstellen. Das inzwischen nach DGNB Gold zertifizierte Ensemble setzt auf grüne Energie dank Geothermie und Photovoltaik. Natürlich hat es eine große Tiefgarage. Diese aber bietet Platz für 350 Fahrradstellplätze – auch das gehört zu einem integrierten Nachhaltigkeitskonzept, das sich nicht darin erschöpft, eine ansprechende Fassade zu erstellen, sondern Nachhaltigkeit als Summe verschiedener, ineinandergreifender Bausteine begreift. Dank des Engagements aller Beteiligten verbindet das Gebäude geradezu vorbildlich die Ecksteine künftiger Transformation: „Grüne Höfe, helle Arbeitsräume, Fahrradtiefgarage und die Versorgung mit Geothermie und Photovoltaik wurde von allen Beteiligten als Chance erkannt, um den Klimaschutz zu gestalten.“ Das vom Bündnis KlimaSchutzPartner Berlin zum Partner des Jahres 2022 gekürte Büro &MICA Architekten sieht sich als Vorreiter einer zukunftsfähigen Gesellschaft, die Agilität und Digitalisierung gleichermaßen umfasst wie Gemeinschaft, Haltung, Inklusion, Innovation, Kontext, Mobilität, Nachhaltigkeit, Ökonomie, Vielfalt und Wertschätzung. So groß die Worte auch klingen, sie beweisen: Es braucht in Zukunft mehr als nur „grüne“ Bauten. Das energetisch beste Haus kann nicht nachhaltig sein, wenn es nicht in den Kontext eingefügt wurde.
Alle sind sich einig: Die Stadt der kurzen Wege wird grün. Sie muss es werden, da die Vorstellung der funktionsgeteilten, autogerechten Stadt krachend gescheitert ist. Was aber genau das bedeutet, darüber sind sich Architektinnen und Baumeister, Soziologinnen und Stadtplaner noch nicht einig. Das müssen sie auch nicht, solange derart qualitätvolle Bauten entstehen. Lange Zeit galt Berlin als Stadt der Chancen und Freiräume. Über organisatorische Schwächen sahen viele hinweg, sie galten eher als Zeichen dieser speziellen Berliner Lockerheit. Nun, da die Stadt der Brachen sich in eine normalere europäische Großstadt wandelt, kann die ökologische Transformation der Metropole jenen Schub bieten, die über den liebenswerten Kiez hinausreicht. Die vorbildliche Sanierung historischer Bausubstanz, die konsequent ergänzt und weitergedacht wurde, gehört dazu. Einst war das Post- und Telegraphenbauamt Hightech. Jetzt ist es eine Chance, den Stadtwandel voranzutreiben. Was zeigt: Technologien gehen, Haltungen bleiben. Nicht nur Berlin braucht mehr solcher Projekte mit dem maßvollen Einsatz von Technik, dafür grünen Höfen, mehr Flexibilität und Weiterbauen statt Abbruch und Entsorgung.
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