J. MAYER H. und Partner, Architekten, Berlin
Stadt Kehl
Knippers Helbig, Berlin (Tragwerksplanung); lichttransfer, Berlin (Lichtplanung)
2018
Kehl, Haltestelle Rathaus
Nimmt die neue Trambahnhaltestelle am Rathaus in Kehl Bezug auf jungsteinzeitliche Tempelarchitektur? Oder sind die Formen der Tragelemente doch eher an Rheinkiesel angelehnt? Als neuer Endpunkt der grenzübergreifenden Straßenbahnlinie, die Straßburg und Kehl über die Europabrücke miteinander verbindet, zieht der vom Berliner Büro J. Mayer H. und Partner entworfene Infrastrukturbau in jedem Fall Aufmerksamkeit auf sich.
Die Haltestelle dominieren geschwungene Formen aus Sichtbeton. Langgezogene Platten bilden die beiden Dächer, die jeweils einer Fahrtrichtung zugeordnet sind. Sie lagern auf jeweils zwei rundlichen Scheiben, zwischen denen je ein „Findling“ sitzt, in den eine Sitzbank sowie die Beschriftung integriert wurden. Die „Komposition aus hellen rundlichen Sichtbetonscheiben“ komprimiere „die Aspekte von Dynamik, Gleichgewicht, Labilität und Mobilität in eine infrastrukturelle Skulptur“, schreibt das Büro J. Mayer H. und Partner zu dem Bauwerk.
In der Dämmerung und nachts werden die Scheiben von unten beleuchtet, wodurch sie sich in überdimensionale mystische Leuchtobjekte verwandeln. Gleichzeitig überlagern sich auf der Unterseite des Daches die Schatten: Helle und dunkle Bereiche formen dann ein grafisches Muster.
Tragwerk für Trilithen
Die konstruktive Herausforderung des Entwurfs war der schlanke Übergang zwischen den stützenden Scheiben und dem Betondach, in den gleichzeitig auch die Entwässerung integriert werden sollte. Das grundlegende statische Modell ist ein Rahmentragwerk mit Stützen, die am Fußpunkt und am Übergang zum Betondach eingespannt sind. Das Tragsystem des Betondachs formt sich im Zusammenspiel von Rahmenkonstruktion und punktgestützter Platte.
Bei den Scheiben handelt es sich um einen Verbundquerschnitt. Dieser besteht aus einem runden Stahlhohlprofil, das über angeschweißte Kopfbolzendübel mit dem umgebenden Stahlbeton verzahnt ist. Das vollständig verzinkte Hohlprofil dient gleichzeitig der Entwässerung. Entscheidend für die Aufnahme der Biegemomente ist der Kopfpunkt der Stütze, der über eine Anschlussbewehrung und zusätzliche Dübelleisten mit dem Betondach verbunden ist. Über ein Kräftepaar aus Druck- und Zugkräften werden die Biegemomente in die Stütze eingeleitet und über Scherkräfte durch die Kopfbolzen an den Betonquerschnitt übertragen. Am Fußpunkt, der über einen konventionellen Schraubanschluss eingespannt ist, werden die Kräfte in das Fundament abgegeben. Die Bemessung der Konstruktion erfolgte für die Erdbebenzone 1.
Fertigung im Werk und vor Ort
Neben den statischen und funktionalen Notwendigkeiten war auch der fixe Eröffnungstermin ein entscheidender Faktor. Eigentlich sollte die gesamte Konstruktion mit Betonfertigteilen erstellt werden. Aufgrund der angespannten Marktlage in der Bauwirtschaft entschied sich das Planungsteam schließlich dafür, das Dach in Ortbeton auszuführen. Die Schalhaut wurde im Hinblick auf die gewünschte Sichtbetonklasse SB3 gewählt – die Möglichkeit, den Beton später nachzubehandeln, wurde dabei offen gelassen.
Die Herstellung der Scheiben erfolgte liegend im Werk, die Rückseite wurde nachträglich geglättet. Die Produktion der Fertigteile und die Arbeiten vor Ort liefen parallel, sodass die Schalung für die Unterseite des Daches bereits weitgehend fertiggestellt war, als die stützenden Scheiben geliefert wurden. Das Planungsteam hatte dafür schmale Aussparungen in der Dachschalung vorgesehen, durch die die Steine eingefädelt und mit dem Fußpunkt verankert wurden.
Für die Dachplatte kam ein Beton C50/60 zum Einsatz, die Scheiben sind in C30/37 ausgeführt. Beide Bauteile entsprechen der Expositionsklasse XC4. Da das geneigt ausgeführte Betondach als wasserführende Schicht dient, ließ man es nach dem Aushärten auf der Oberseite mit einer Flüssigabdichtung versehen. -chi
Bildnachweis: Frank Dinger, Karlsruhe
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