25.08.2021

Ein nachhaltiges Wahrzeichen

Antwerpens neues Provinzgebäude

Düsseldorf, August 2021. Der kompakte, skulpturale Turm des neuen Provinzgebäudes in Antwerpen ist ein Wahrzeichen der Baukultur und Nachhaltigkeit. Das Büro- und Verwaltungsgebäude aus Ortbeton setzt konsequent auf Energieneutralität.

Die belgische Hafenstadt Antwerpen, geprägt von einer Architektur im Stil der flämischen Renaissance wie dem Grote Markt und der Liebfrauenkathedrale, zeigte in den letzten Jahren exemplarisch, wie neue ikonische Gebäude nicht nur als Impulse für die städtebauliche Entwicklung, sondern auch für die überregionale Attraktivität genutzt werden können. Nicht zuletzt das MAS Museum aan de Stroom, entworfen von Neutelings Riedijk, und Zaha Hadid's Havenhuis im nördlichen Teil der Stadt zeugen vom Aufbruch zu einer neuen Baukultur.

Der südliche Teil Antwerpens hingegen war bis zuletzt geprägt von einem nicht nur energetisch veralteten dreiteiligen Gebäudekomplex, der einen Großteil der wenigen innerstädtischen Grünflächen einnahm und dessen mittlerer Turm als Sitz der Provinzregierung diente. Zu hohe Sanierungskosten führten zu der Entscheidung, den Provinciehuis-Komplex durch ein neues Gebäude zu ersetzen. Da es in der Antwerpener Innenstadt nur wenige öffentliche Grünflächen gibt, war es Aufgabe des 2011 ausgeschriebenen Wettbewerbs, einen möglichst großen Teil der Fläche künftig als öffentlichen Garten zu gestalten und in den nahe gelegenen Harmonie Park und Koning Albert Park als durchgehende Naturinsel einzubinden. Eine weitere Forderung war die Beibehaltung eines in jüngerer Zeit auf dem Areal errichteten Pavillons.

Ein Hochhaus mit Spin-Effekt

Die Gewinner des Wettbewerbs, das Brüsseler Architekturbüro Xaveer De Geyter Architects (XDGA), machten aus der Komplexität der Wettbewerbsaufgabe eine Tugend, indem sie das neue Provinzbegäude als skulpturales Gebäude mit einer charakteristischen Torsion entwarfen, das den zu erhaltenden Pavillon stützenfrei als Brücke überspannt und gleichzeitig die neu geschaffene durchgängige Parklandschaft in einen Vor- und Hintergarten teilt. Da die Stadt Antwerpen im Laufe des weiteren Entwicklungsprozesses auf den Erhalt des Pavillongebäudes verzichtete, ersetzten XDGA dieses durch ein verglastes Kongressgebäude, das unter dem neuen Gebäude platziert ist. Um eine Verschattung der Nachbargebäude durch das neue, 15-geschossige und 59 Meter hohe Provinciehuis zu verhindern, entschied sich XDGA, das Volumen über acht Etagen nach Süden hin ausschwingen zu lassen, mit der Nordwestecke als Drehachse. Jede Etage, von +3 bis +10, dreht sich ein wenig weiter zurück. Gleichzeitig wird die Breite der Etagen um einen Bruchteil reduziert, so dass die resultierende Gesamtfläche genau dem vorgegebenen Bedarf von 27.300 m² entspricht. Dieser Spin-Effekt ist dramatisch: Das neue Gebäude windet sich buchstäblich in die Höhe, es trotzt als monochromes weißes Volumen der Schwerkraft.

683 dreieckige Fenster

Das Gebäude ist als Brückenbauwerk über und durch den Pavillon konzipiert. In der Mitte des Grundrisses spannt sich ein großer Fachwerkbinder aus Stahl von einem Kern zum anderen.

Zwei weitere Fachwerkbinder sind in die Betonseitenwände integriert. Die Diagonalstreben dieser beiden Fachwerkträger geben die Grundstruktur der Fassade vor: Eine Aneinanderreihung von Dreiecken, die engbündig jeweils abwechselnd auf ihrer Spitze und auf ihrem Schenkel stehen. Die auf der Spitze stehenden Dreiecke werden als Fensteröffnungen genutzt, die auf dem Schenkel stehenden Dreiecke bestehen aus Beton und bilden ein die gesamte Fassade tragendes System.

Die Form der 683 auf der Spitze stehenden Fenster erweist sich insofern als besonders energieeffizient, als die nach oben hin erweiterten Öffnungen mehr Tageslicht bis tief in die Räume fallen lassen als rechteckige Fenster mit gleicher Fläche. Die hohe Position der Fenster bis zu den Decken hin unterstützt diesen Effekt.

Die auf dem Schenkel stehenden Betondreiecke wurden auf der Baustelle als Ortbeton verbaut. Besondere Herausforderung beim Einbau dieser 35 cm dicken Betondreiecke war, dass keines dieser Dreiecke dem anderen gleicht. Durch die Torsion der Fassade bedingt verfügt jedes der verbauten Dreiecke über eine eigene Form. Erst ein speziell entwickeltes Schalungssystem, mittels dessen die jeweiligen dreidimensionalen Krümmungen eines jeden Dreiecks berücksichtigt werden konnten, ermöglichte den Einbau des Konstruktionsbetons vor Ort.

Der Beton wurde beim Provinciehuis in drei verschiedenen Farbnuancen verbaut: als grauer, normaler Sichtbeton für die technischen Räume und die Tiefgarage, als schwarzer Sichtbeton für die beiden vertikalen Betonkerne mit Aufzügen und Treppenhäusern und als heller Sichtbeton für die nach innen hin nicht verkleideten charakteristischen Sichtbeton-Dreiecke sowie die Raumdecken.

Zur Außenseite hin wurden die Betondreiecke mit einer Isolierung sowie mit speziellen Putzträgerplatten verkleidet, die aus einem Kern aus Portlandzement und Zuschlagstoffen bestehen und beidseitig mit einem Glasgittergewebe armiert sind. In die Oberflächen dieser Platten wurden ca. 10 Millionen kleine, kreisrunde, weiße Glasmosaiksteine eingelassen, wodurch der Fassade eine helle, feine Haptik verliehen wird. Die Fenster sind darin perfekt bündig eingepasst und verleihen dem Gebäude die charakteristische, abstrakt anmutende glatte monolithische Gestalt.

Nonplusultra in puncto Nachhaltigkeit

Das neue Verwaltungs- und Kongressgebäude beherbergt im unteren Teil neben einem Auditorium und dem Ratssaal der Provinzregierung einen großen Veranstaltungs- und Ausstellungsraum, im zweiten Obergeschoss ein Restaurant mit einer großen Terrasse. In den höher gelegenen Geschossen befinden sich Büroräume, in den obersten Etagen die der Provinzregierung sowie ein zweigeschossiger Bibliotheksraum.

Das Provinzhaus ist nach BREEAM, dem Bewertungssystem für ökologische und soziokulturelle Aspekte der Nachhaltigkeit von Gebäuden, als „Excellent“ zertifiziert und das Nonplusultra in puncto Nachhaltigkeit. Die Fassade ist lediglich zu 40 % verglast. Gleichzeitig wird durch die Reduzierung der Fensterflächen die sommerliche Wärmeeinstrahlung reduziert, verhindert eine Überhitzung des Gebäudes und trägt so zu einem niedrigen Energieverbrauch bei.

Das Passivhaus ist völlig unabhängig von fossilen Brennstoffen. Heizung und Kühlung des Gebäudes mit zwei repräsentativen Obergeschossen für die Provinzverwaltung, offenen Arbeitsetagen mit verschiedenen Arbeitsplatztypen, Bibliothek, Restaurant sowie Landtagssitzungssaal und Auditorium erfolgen über ein Bohrloch-Energiespeichersystem, kombiniert mit einer Betonkernaktivierung.

Für das Energiespeichersystem wurden 350 Bohrlöcher bis zu einer Tiefe von 350 Metern in den Baugrund unterhalb der Tiefgarage eingebracht. Das Speichersystem ist damit das größte, das bisher in Belgien errichtet wurde. Ein geschlossenes hydraulisches System zieht im Winter mittels einer Wärmepumpe Wärme aus der Erde und nutzt die niedrige Erdtemperatur im Sommer zur Kühlung.

Xaveer De Geyter Architects ist es mit Antwerpens neuem Provinzgebäude gelungen, ein neues Wahrzeichen für die Stadt zu schaffen. Es bezeugt beispielhaft den Aufbruch zu einer neuen, nachhaltigen Baukultur.

Bautafel

Provinciehuis Antwerpen
Koningin Elisabethlel 22, 2018 Antwerpen, Belgien
Bauherr: Provinz Antwerpen
Architekten: XDGA / Xaveer De Geyter Architects, Brüssel
Tragwerksplanung: Bollinger + Grohmann, Frankfurt a. M./Brüssel
HLS-Planung: Studiebureau R Boydens, Brügge
Energieplanung: Transsolar, Stuttgart
Freiraumgestaltung: Michel Desvigne Paysagistes, Paris
BGF: 27 300 m²
BRI: 132 200 m³
Fertigstellung: September 2019

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